Die Kompatiblen kommen

Geschrieben am 01.12.2015 von

Am 10. November 2015 starb im Alter von fast 93 Jahren der amerikanische Ingenieur und Fabrikant Gene Amdahl. Er wurde bekannt durch „steckerkompatible“ Computer, die mit der gleichen Software wie Modelle von IBM liefen, doch billiger waren. Ab 1980 bot auch die Firma Nixdorf solche Rechner an. Später verbreitete sich Amdahls Idee bei Mikrocomputern.

Eigentlich kam, wie es im Kalten Krieg hieß, der Ostblock darauf. Von 1966 an überlegten sowjetische Wirtschaftsplaner, welcher Weg beim Ausbau der elektronischen Datenverarbeitung den meisten Erfolg versprach. Zur Wahl stand die Weiterentwicklung eigener Computertypen – die untereinander aber nicht zusammenpassten – oder die weitgehende Kopie der amerikanischen IBM-360-Familie samt Peripheriegeräten und Betriebssystemen.

Nach langer Beratung schlug man den zweiten Weg ein. So entstand in den 1970er-Jahren nach dem Vorbild der IBM 360 und ihrer Nachfolgerin IBM 370 das ESER oder Einheitliche System Elektronischer Rechentechnik. Seine Komponenten wurden in der UdSSR, Polen, Ungarn, Bulgarien und in der DDR gefertigt. Ein Beispiel können die Besucher im 2. Stock des HNF (und im Foto oben, (Foto: Jan Braun, HNF)) bewundern. Der IBM-blaue Computer ESER 1055 kam vom Robotron-Kombinat. Das HNF-Exemplar lief bis 1993 im Sachsenwerk Dresden.

Die ESER-Anlagen waren „steckerkompatibel“ zu den US-Originalen, anders gesagt, sie übernahmen die technische Struktur und das Betriebssystem und wären – vielleicht nach ein paar Korrekturen – mit Programmen gelaufen, die für die IBM 360 bzw. 370 geschrieben wurden. Die kommunistischen Planer dachten nicht daran, auf dem Weltmarkt mit Mother Blue zu konkurrieren, aber die Idee lag nahe, und es war ein amerikanischer Ingenieur, der mit diesem Ziel IBM-verträgliche Computer fertigte und damit gutes Geld verdiente.

Gene Amdahl wurde am 16. November 1922 im Bundesstaat South Dakota in der Mitte der USA geboren und baute als Doktorarbeit den ersten Elektronenrechner des Staates Wisconsin. 1952 startete er seine Berufslaufbahn bei IBM und wirkte unter anderem an der Konstruktion der IBM 704, IBM 709 und – nach zeitweiliger Trennung – an der IBM 360 mit, die 1965 auf den Markt kam. 1970 verließ er IBM für immer und gründete im kalifonischen Sunnyvale die Amdahl Corporation.

Amdahl strebte Computer an, die mit IBM-Software operierten, aber schneller und vor allem billiger waren als die IBM-Systeme selbst, speziell die neue IBM 370. Geld erhielt er von der japanischen Firma Fujitsu, doch die möglicherweise entscheidende Hilfe in der schwierigen Startphase leistete Heinz Nixdorf, der sechs Millionen Dollar in die Amdahl Corporation investierte. 1975 lieferte sie den ersten Computer aus, den Amdahl 470V/6, und Nixdorf hoffte eine Zeitlang, ihn mit einigen Partnern auf den deutschen Markt zu bringen.

Daraus wurde aber nichts. Heinz Nixdorf verkaufte den Amdahl-Anteil 1977 mit Gewinn an der Börse. Gene Amdahl selbst leitete seine Firma, die rund zehn Prozent der Großrechnermarkts eroberte, noch bis 1979; mit seinen späteren Unternehmen Trilogy, Andor und CDS konnten er nie mehr die früheren Erfolge wiederholen. Die Amdahl Corporation wurde 1997 von Fujitsu übernommen; ihr Gründer starb kurz vor seinem 93. Geburtstag am 10. November 2015. Hier sehen wir Gene Amdahl anno 1984 live, zusammen mit Mikrocomputerpionier Adam Osborne.

Weitere IBM-kompatible Großrechner produzierten die erwähnte Firma Fujitsu und ein weiteres japanisches Unternehmen, Hitachi. In den 1980er-Jahren stieß die Nixdorf Computer AG mit der Modellfamilie 8890 hinzu, die primär gegen die neue IBM 4331 antrat. Die Prozessoren  kamen teils vom israelischen Hersteller Elbit und teils von Hitachi. Bis 1989 wurden 830 Systeme abgesetzt. Im gleichen Jahr zog sich Nixdorf aber aus dem gesamten Großrechner-Bereich zurück.

Parallel zur Entwicklung in der Mainframe-Szene mischten die Steckerkompatiblen bei den kleinen Rechnern mit, die sich seit den späten Siebzigern über die westliche Welt verbreiteten. Die frühen „Klone“ von Mikrocomputern sind nur noch Historikern bekannt, doch vom Compaq Portable, der Anfang 1983 auf dem US-Markt erschien, wurden im ersten Jahr schon über 50.000 Stück verkauft. Er entsprach technisch dem 1981 eingeführten IBM PC, enthielt den gleichen Intel-8088-Prozessor und rechnete problemlos mit der für den PC erstellten Software.

Auf den Compaq folgte eine Flut ähnlicher Systeme, die dann zur Aufteilung in die Wintel- und die Apple-Welt führten. Wobei erstere die Computer umfasst, die mit Windows-Betriebssystemen und Intel-Prozessoren oder Kopien derselben laufen. Im Kalten Krieg kopierte die Sowjetunion fleißig mit, so entstand ein Nachbau des Intel 8086 namens K1810WM86. Die DDR-Elektroniker konzentrierten sich dagegen auf Chips der amerikanischen Marke Zilog und erstellten nach ihrem Vorbild den 8-bit-Prozessor U880 und den U8000 mit 16 bit.

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2 Kommentare auf “Die Kompatiblen kommen”

  1. Lieber Mitleser,

    als der frühere Entwicklungsschef von Nixdorf, Dr. Hartmut Fetzer, hörte, dass die Planer des HNF statt eines IBM 360er-Systems eine ESER-Anlage des DDR-Kombinats Robotron aufstellen wollten. meinte er nur spöttisch, dass sei als wenn man einen Trabi als Musterbeispiel für ein modernes Automobil präsen-tieren würde.
    Immerhin haben es die Besucher aus der ehemaligen DDR dem HNF wohl gedankt…

    Norbert Ryska

  2. Aus einem Interview mit Gene Amdahl: A surprise visit by Heinz Nixdorf from Germany was exciting, for after a few hours he agreed to put in $5 million. This also excited Fujitsu, for they decided to invest an additional $5 million! These events stirred the venture capital people to invest $7.8 million! (Leider gibt es von dem Business-Meeting, wie üblich, keine Photos.)

    Norbert Ryska

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