Die Vereinten Nationen des Äthers
Geschrieben am 24.11.2017 von HNF
Die zwanziger Jahre bescherten uns nicht nur den Tonfilm, sondern ebenso das Radio. Am 25. November 1927 endete in Washington die Weltfunkkonferenz. Delegierte, Berater und Firmenvertreter aus vielen Ländern entwarfen ein Regelwerk für das neue Medium und für weitere Funkdienste. Der wichtigste Punkt war die Zuteilung der Frequenzen, doch wurde auch der Notruf „Mayday“ beschlossen.
„Ich habe die Ehre, den Delegationen, ja, ihren Völkern zum erfolgreichen Abschluss dieser Konferenz zu gratulieren. Abgesandte von achtzig Regierungen, die größte internationale Versammlung der Geschichte, arbeiteten sieben Wochen zusammen und erzielten ohne größeren Streit einen einstimmigen Beschluss über ein höchst technisches und schwieriges Problem. Das beweist nicht nur die wachsende Fähigkeit der Welt, internationale Probleme zu lösen, sondern zeugt ebenso von der Entschlossenheit und vom Geist der Delegationen aus jenen Ländern.“
Diese hehren Worte sprach am 25. November 1927 der amerikanische Handelsminister Herbert Hoover in Washington. Er leitete die im Text genannte Konferenz, die am 4. Oktober des Jahres begonnen hatte. Eröffnet hatte sie der amtierende US-Präsident Calvin Coolidge, der von den Republikanern kam. Hoover gehörte der gleichen Partei an und wurde 1929 selbst Präsident. Unter ihm rutschte das Land in eine schwere Wirtschaftskrise; 1933 war Hoover seinen Posten wieder los.
Das ahnte aber 1927 noch niemand. Die Zwanziger waren golden, die Wirtschaft blühte, und immer mehr Autos rollten über die Straßen. Ganz Amerika geriet aus dem Häuschen als Charles Lindbergh im Mai 1927 den Atlantik überflog. In ihrer Freizeit gingen die Bürger zum Baseball oder ins Kino oder sie hörten Schallplatten an. 1920 startete ein neues Medium: Die erste amerikanische Rundfunkstation KDKA nahm den Betrieb auf. 1926 sendete das Netzwerk NBC, ein Jahr später folgte CBS. Beide existieren noch heute.
1922 hörte man Radio in England und Frankreich, ab Oktober 1923 auch in Deutschland. Bei einfachen Detektor-Empfängern war ein Kopfhörer unverzichtbar; Röhrengeräte ließen sich ohne Hilfsmittel vernehmen. Radiobastler entdeckten derweil die Kurzwelle und schickten Morsezeichen um die Erde. Ab 1924 durften die amerikanische Funkamateure drei eigene Frequenzbereiche nutzen. Auf jeden Fall bestand ein Bedarf, die Technik international zu regulieren, wie es schon für die Telegrafie, das Telefon und den Schiffsfunk geschah.
Das war der Hintergrund für die International Radiotelegraph Conference, die am 4. Oktober 1927 in Washington begann. Es trafen sich 350 Delegierte, Fachexperten und Firmenmanager aus über fünfzig Ländern. Konferenzleiter war – man ahnt es – Herbert Hoover. Die achtzig Regierungen, die er in der zitierten Rede erwähnte, schlossen die Kolonien und Protektorate der europäischen Staaten ein. Auch die Dokumente der Konferenz führten die Kolonien getrennt auf. Dagegen fehlte die Sowjetunion.
1903 und 1906 hatte es bereits zwei Funktelegrafiekonferenzen in Berlin gegeben; 1912 fand die Funkverwaltungskonferenz von London statt. Veranstalter war jeweils die Internationale Fernmeldeunion ITU. Die Washingtoner Tagung war also die vierte ihrer Art und die bis dahin größte. Wo genau die Teilnehmer zusammensaßen, wissen wir nicht, wahrscheinlich in einem Hotel. Bildlich überliefert ist – siehe unten – ein Empfang der Delegierten durch Präsident Coolidge und First Lady Grace Coolidge.
Vom 4. Oktober bis 25. November 1927 waren neun Plenarsitzung angesetzt. Dazwischen tagten Ausschüsse und Unterausschüsse sowie die „teacupper“, die in kleinen Gruppen und mit Unmengen von Tee Hindernisse aus dem Weg räumten. Alkoholische Getränke waren damals in den USA streng verboten. So viel Nüchternheit zahlte sich aus und führte zu einem eindrucksvollen Ergebnis, dem rund hundert Seiten starken Weltfunkvertrag. Er trat am 1. Januar 1929 in Kraft.
Die eigentliche Konvention umfasste 24 Artikel, die die Grundsatzfragen regelten. Artikel 17 legte die Gründung eines Ausschusses für funktechnische Probleme fest, des CCIR. Die auf die Konvention folgende „Allgemeine Vollzugsordnung“ enthielt detaillierte Bestimmungen und die exakte Zuteilung der Frequenzen. Der Rundfunk erhielt die Langwelle von 160 bis 228 Kilohertz und die Mittelwelle von 675 bis 1.500 Kilohertz. Die Funkfreunde – so hießen die Amateure im Amtsdeutsch – konnten sich über sechs Frequenzbänder freuen.
Artikel 14 der Vollzugsordnung listete die Rufzeichen für alle Länder auf, auch das der abwesenden Sowjetunion (RAA-RQZ). Artikel 19 führte einen Notruf für den Sprechfunk ein, der bis heute in Gebrauch ist: MAYDAY. Das Wort wurde 1923 in England geprägt: Es geht auf das französische „M’aider“ zurück, ein vornehmer Ausdruck für „Hilfe!“. Der deutsche Vertragstext wählte die kuriose Fassung MÄDEE. Aber Hauptsache, die Rettung naht! Unser Eingangsbild zeigt Admiral William Bullard, Chef der US-Rundfunkbehörde, 1927 in seinem Büro.