Helmar Frank: von Berlin nach Paderborn und zurück

Geschrieben am 24.04.2018 von

Neben Heinz Nixdorf prägte eine zweite Persönlichkeit die Paderborner Informatik: Helmar Frank. Der Mathematiker und Bildungsforscher lehrte von 1972 bis 2006 an der Hochschule. Als Professor für kybernetische Pädagogik befasste er sich unter anderem mit Lehrmaschinen und –computern. Helmar Franks Nachlass kam vor einem halben Jahr in die Berliner Humboldt-Universität und wird dort weiter erforscht.

Vor siebzig Jahren schuf der amerikanische Mathematiker Norbert Wiener die Kybernetik. Die neue Wissenschaft war eine Vorläuferin oder auch Schwester der Informatik. Sie verband Computer-, Nachrichten- und Regelungstechnik und übertrug viele Konzepte daraus in die Lebens- und Geisteswissenschaften. Ihre Grundlage war der Regelkreis mit negativer Rückkoppelung, der ein System ohne Eingriff von außen in einem stabilen Zustand hält.

In den 1950er-Jahren griffen deutsche Forscher wie Gotthard Günther und Karl Steinbuch kybernetische Ideen auf. In den Sechzigern schloss sich der DDR-Philosoph Georg Klaus an. 1961 erschien in West-Berlin und Heidelberg das erste Heft der Fachzeitschrift „Kybernetik“. Ein Jahr vorher startete ein Verlag in Quickborn bei Hamburg die „Grundlagenstudien aus Kybernetik und Geisteswissenschaft“, meist abgekürzt als grkg. Wir haben sie in unserem Blog bereits 2016 vorgestellt.

Helmar Frank – „AIS“ ist die Esperanto-Abkürzung für die Internationale Akademie der Wissenschaften San Marino.

Ihr Redakteur war der am 19. Februar 1933 in Waiblingen geborene Helmar Frank. Er hatte zunächst in Stuttgart und Tübingen Mathematik studiert und 1956 das Diplom erworben. 1957 bestand er das Staatsexamen für das Höhere Lehramt. 1957 und 1958 setzte er seine Studien in Paris fort; hier führte ihn der Computerpionier Louis Couffignal in die Kybernetik ein. 1959 promovierte Frank mit einer Arbeit über mathematische Ästhetik beim Stuttgarter Philosophen Max Bense. Zur gleichen Zeit unterrichtete er schon in einem Gymnasium.

Vor jahrzehntelangem Schuldienst rettete ihn Karl Steinbuch. Ab 1961 saß Helmar Frank in seiner Arbeitsgruppe für lernende Automaten in der TH Karlsruhe. Außerdem schrieb er ein Buch über die kybernetischen Grundlagen der Pädagogik. Dieses brachte ihm 1963 eine Professur an der Pädagogischen Hochschule in Berlin ein. An der Hochschule lehrte bereits der Kybernetik-Freund Otto Walter Haseloff. Der Psychologe hatte 1962 die mobilen Roboter Hinz und Kunz gebaut, wohl die ersten aus deutscher Produktion.

Der „promentaboy“ von 1965 enthielt einen Papierstreifen mit einem Lernprogramm.

Die 1960er-Jahre waren die goldene Ära der Lehrautomaten und des programmierten Unterrichts. Bei ihm wird der Lehrstoff in kleinste Abschnitte zerlegt und mit Testfragen und Wiederholungen durchgearbeitet. Das kann in gedruckter Form oder eben maschinell geschehen. Helmar Frank befasste sich mit den bereits auf dem Markt befindlichen Geräten wie dem handlichen „promentaboy“. Darüber hinaus entwickelte er das didaktische System BAKKALAUREUS mit den Bedieneinheiten Robbimat, Geromat und Didact.

Dadurch kam Helmar Frank auch in Kontakt zu Heinz Nixdorf. Nach Gründung der Nixdorf Computer AG 1968 wurde BAKKALAUREUS um Rechner des Typs Nixdorf 820 ergänzt; das führte zum Nixdorf-Lehrsystem NICOLE. Die Wochenschau von 1971 zeigt eine halbe Minute nach Beginn Bilder von der Interschul-Messe in Dortmund und der pädagogischen Hardware aus Paderborn. Auch der SPIEGEL berichtete damals über den Wettstreit zwischen „Goliath“ IBM und dem „nationalen Computer-David“ Nixdorf.

Ein Robbimat aus dem HNF mit Tonbandgerät und Antwort-Tastaturen für die Schüler.

Schon 1964 schuf Frank in Berlin ein Institut für Kybernetik in Form einer gemeinnützigen GmbH. 1970 wurde als Projekt des Bundeslands NRW – und unter Mitwirkung von Heinz Nixdorf – das Forschungszentrum für objektivierte Lehr- und Lernverfahren FEoLL gegründet. Dieses war dann 1972 eine der Säulen der neuen Gesamthochschule Paderborn. Helmar Frank übernahm die Professur für Kybernetische Pädagogik und Bildungstechnologie und zweitens die Leitung des an der Hochschule angesiedelten FEoLL-Instituts für Kybernetik.

Franks Lehrtätigkeit erstreckte sich bis 2006; im Netz hat die Homepage des emeritierten aber noch aktiven Professors überlebt. In den Siebzigern endete die Ära der Lehrautomaten. Es begann die Zeit des Computers und der Teachware. Helmar Frank entwickelte 1973 den „Modellrechner“ MORE; ein Exemplar besitzt auch das HNF. Die Schwerpunkte seiner Forschung waren Bildungskybernetik, Informationstheorie, Psychologie und das Lernen von Fremdsprachen. Besonders interessierte er sich für die künstliche Sprache Esperanto.

Vorder- und Rückseite des Lerncomputers MORE mit integrierten Schaltungen; dieses Exemplar gehört zu dem in Berlin befindlichen Nachlass von Helmar Frank.

Helmar Frank starb am 15. Dezember 2013 in Paderborn. Zwei Jahre später ergab sich ein Treffen zwischen seiner Witwe Věra Barandovská-Frank und dem Berliner IT-Historiker Stefan Höltgen. Es führte dazu, dass der wissenschaftliche Nachlass Franks im November 2017 an die Humboldt-Universität gelangte. Hier liegt er beim Lehrstuhl für Medientheorien von Professor Wolfgang Ernst und wird nun weiter erforscht. Zu tun gibt es genug: Bücher, Schriften, Ordner, Filme, Fotos, Dias, Bänder und Disketten füllten 50 Umzugskartons.

In der letzten Woche stellte der Lehrstuhl zusammen mit der TU Berlin die Schätze aus Paderborn vor. Einen Teil von ihnen zeigt unser Eingangsbild. Die „Grundlagenstudien aus Kybernetik und Geisteswissenschaft“ gibt es noch, sie werden inzwischen von Jan Claas van Treeck und Stefan Höltgen redigiert. Zum Schluss bedanken wir uns bei Professor Peter Freese von der Universität Paderborn für das Helmar-Frank-Foto und die Erlaubnis, es nutzen zu können.

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Ein Kommentar auf “Helmar Frank: von Berlin nach Paderborn und zurück”

  1. Norbert Ryska sagt:

    Aus einem Schreiben des früheren Nixdorf-Entwicklungschefs für die Kommunikationstechnik Hartmut Lubcke an mich:“Ihre beiden Emails wecken viele Erinnerungen bei mir an die Zeit bei Ampex und sogar an erste Arbeiten bei Nixdorf, wo ich 1971 einen Prototypen für den Einsatz eines Video gestützten Bakkalaureus entwickelt habe, bei dem die richtigen Antworten A, B, C oder D auf die Testfragen in den Filmen in der Austastlücke des Fernsehbildes verschlüsselt waren. Ich meine fast, dieses Projekt war der Anlass für die Überreichung einer Digitaluhr auf der Hannover Messe 1971 an mich durch Heinz Nixdorf.“

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