IBM RAMAC – Daten auf Platten
Geschrieben am 14.09.2021 von HNF
Am 14. September 1956 stellte Thomas Watson junior, der Chef der Firma IBM, das erste Festplattensystem vor. Das RAMAC besaß fünfzig Magnetscheiben auf einer Achse und fasste einige Millionen Zeichen. Es arbeitete unter dem Namen IBM 305 als Einzelgerät sowie als Speicher für den Computer IBM 650. Bis 1961 wurden mehr als tausend Stück gebaut.
“Heute ist die größte Produktvorstellung in der IBM-Geschichte und, wie ich glaube, in der Geschichte der Büromaschinenindustrie. Diese Geräte bilden den wichtigsten Fortschritt zur Unternehmensführung durch Elektronik, der bisher geschah.“ Das sagte Firmenchef Thomas Watson junior am 14. September 1956. Es war seine erste eigene Produktpremiere; sein Vater und Vorgänger Thomas Watson senior hatte im Mai des Jahres sein Büro geräumt und starb wenig später.
Präsentiert wurden vor 65 Jahren vier Systeme. In New York stellte IBM eine Schreibmaschine mit elektronischem Tabulator vor, im weiter nordwestlich gelegenen Endicott sah die Presse eine Anlage, die Fabrikdaten sammelte und verarbeitete. Hier und in der Hafenstadt Norfolk in Virginia zeigte Big Blue außerdem die Hauptattraktion: die RAMAC oder Random-Access Method of Accounting and Control. Frei übersetzt ist das die Technik zum direkten Zugriff für Buchung und Geschäftsführung.
Eigentlich bezeichnete RAMAC zwei technisch verwandte Geräte namens IBM 305 und IBM 355. Letzteres war ein Datenspeicher für die Rechenanlage IBM 650. Er enthielt fünfzig auf einer gemeinsamen Achse rotierende Scheiben mit 61 Zentimeter Durchmesser; jede trug auf jeder Seite hundert magnetisierbare Spuren, die 600 Zeichen aufnahmen. Das machte sechs Millionen Zeichen, codiert mittels sechs Bit. Die Daten wurden durch drei Arme angesteuert, geschrieben und gelesen. Eine Scheibe ist oben im Eingangsbild zu sehen (Foto Deep silence/Mikaël Restoux) CC BY-SA 3.0 seitlich beschnitten).
Auch die IBM 305 verfügte über fünfzig Magnetscheiben zur Aufnahme von Daten. Jede Spur enthielt aber nur 500 Zeichen, was eine Gesamtkapazität von fünf Millionen ergab. Zum Lesen und Schreiben diente ein einziger Arm, der gleichzeitig auf die Ober- und Unterseite einer Scheibe zugriff. Die IBM 305 umfasste darüber hinaus einen Lochkartenleser, einen Stanzer, einen Drucker und die Zentraleinheit. Sie verwendete Elektronenröhren, einen Trommel- und einen Kernspeicher; die Programmierung geschah mit Lochkarten und mit Steckkabeln. Zur Konsole gehörte eine Schreibmaschinentastatur.
Heute meint RAMAC meist das System IBM 305; der Speicher für die IBM 650 geriet etwas in Vergessenheit. Die Abkürzung erinnerte bewusst an das Random-Access Memory RAM. Es war schon vor 65 Jahren der Arbeitsspeicher des Computers, der durch Magnettrommeln, Magnetkern-Gitter oder Quecksilber-Verzögerungsleitungen realisiert wurde; Big Blue sah auch die RAMAC in jener Kategorie. Mit der Zeit änderte sich der Sprachgebrauch. Für uns zählen Magnetplatten-Systeme zu den Massenspeichern.
Der Geburtsort des RAMAC war San José in Kalifornien; das Gebäude steht noch. Darin richtete die IBM 1952 ein Entwicklungslabor ein, ohne zu ahnen, dass die Region zum Silicon Valley werden würde. Reynold Johnson, der Leiter des Speicher-Projekts, begann seine berufliche Karriere als Lehrer; seit 1934 arbeitete er für die IBM. Die Arbeit seines Teams ist in einer Schrift und einem Film verewigt. Wir sehen, dass man zunächst eine horizontale Lagerung der Magnetplatten erprobte. Bei Minute 7:50 erscheint die fertige Konsole mit der Tastatur für die Eingaben.
In San José richtete die IBM auch die RAMAC-Fertigung ein. Normalerweise ließ sich die Firma nach Produktvorstellungen Zeit bis zur Lieferung an die Kunden. Im Falle der RAMAC gab es aber schon ein lauffähiges System bei der US-Marine. Erster ziviler Nutzer war im September 1956 die Papierfabrik Crown Zellerbach in San Francisco. Gleich zwei RAMACs erhielt die Zentrale der Fluggesellschaft United Airlines in Denver. Eine Anlage stand 1958 im US-Pavillon der Weltausstellung in Brüssel, eine andere arbeitete bei den Olympischen Winterspielen 1960 in Squaw Valley.
Insgesamt baute IBM San José in fünf Jahren gut tausend Speicher. Einer fand den Weg in das Rechenzentrum der IBM Deutschland GmbH in Sindelfingen. Hier entstand 1960 ein Fernsehbericht, der die RAMAC in Aktion zeigte. Ihre Magnetplatten enthielten den dritten Band der „Farbenlehre“ von Johann Wolfgang von Goethe; jedes Wort ließ sich abrufen und ausdrucken. Auf Neudeutsch heißt das Digital Humanities. Unter den Interviewpartnern befand sich auch der in Darmstadt tätige Computerpionier Alwin Walther.
Schließen möchten wir aber mit Jacob Rabinow, dem geistigen Vater der Festplatte. Er wurde 1910 in der Ukraine geboren und starb 1999 in den USA. Als Angestellter des Eichamts in der Hauptstadt Washington meldete er im März 1951 eine Magnetic Memory Device zum Patent an; gewährt wurde es im Oktober 1954. Unten ist eine Zeichnung aus der Patentschrift. Es wird klar, was den Erfinder auf seine Erfindung brachte: Die Musikbox oder Jukebox, wie die Amerikaner sagen. Und hier ist das Lied dazu: RAMAC-lama-ding-dong.
Bemerkenswert bei dem RAMAC-Film in diesen 1950er Jahren war auch die dramatische musikalische Unterlegung der Bilder. Erinnert mich an den Komponisten Bernstein, den Charles Eames eingesetzt hat.
IBM hat Maßstäbe gesetzt, was die Darstellung seiner technisch-wissenschaftlichen Kompetenz angeht. Leider kommen hier Frauen nur als Tippse oder Schlepperin von Aktenstapeln vor.