München 1972 – Sport und Elektronik
Geschrieben am 26.08.2022 von HNF
Sie starteten vor fünfzig Jahren, am 26. August 1972, als die heiteren Spiele. In Erinnerung bleibt Olympia in München leider auch durch den Anschlag in der zweiten Woche. Wir möchten uns mit den technischen Aspekten des Sportereignisses befassen. Maßstäbe setzte die Firma Siemens mit fünf Großrechnern des Typs 4004 und mit der olympischen Datenbank GOLYM.
Die Olympischen Spiele 1972 in München waren ein Ereignis, wie es die Bundesrepublik noch nicht erlebt hatte, und so etwas wie das deutsche Äquivalent zur Mondlandung. Sie verknüpften Sport, Technik, Kultur und Stadterneuerung bei Gesamtkosten von knapp zwei Milliarden DM. Zum Vergleich: Der Bundeshaushalt von 1972 betrug 109 Milliarden DM.
Den Zuschlag erhielt die bayerische Metropole am 26. April 1966 auf der Sitzung des Internationalen Olympischen Komitees in Rom. Im Film sieht man IOC-Präsident Avery Brundage, seinen deutschen Kollegen Willi Daume, Münchens Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel und Abgesandte von Sapporo. Die japanischen Stadt war im Februar 1972 Schauplatz der Winterspiele. Die Wochenschau zeigte schon Modelle für das Münchner Event; eines deutete das Zeltdach an, das über den Sportstätten schweben sollte. Hier geht es zu einem weiteren Bericht des Bayerischen Rundfunks.
Die Sommerspiele begannen am 26. August 1972 mit einer legendären Eröffnung in einer grandiosen Kulisse. Die futuristische Architektur im Nordwesten Münchens ist die weltweit wohl schönste Olympia-Anlage. Die Segler trafen sich in Kiel, Ruderer und Kanuten in Oberschleißheim. In Augsburg entstand schon 1971 ein Kanal für den Kanuslalom, der sofort in der DDR nachgebaut wurde. Gelobt wurde das grafische Erscheinungsbild der Spiele; es ging auf den Designer Otl Aicher und sein Team zurück. Sportliche Piktogramme gab es aber schon 1964 in Tokio.
Olympische Spiele sind ein Triumph der Messkunst. In München wurden Weiten und Zeiten natürlich elektronisch bestimmt, wobei die deutsche Firma Junghans und der Schweizer Hersteller Longines zusammenarbeiteten. Im Finale der 400 Meter Lagen am 30. August 1972 schlug der schwedische Schwimmer Gunnar Larsson zwei Tausendstelsekunden eher an als sein US-Konkurrent Tim McKee. Larsson erhielt unter den Pfiffen der Zuschauer die Goldmedaille. Danach beschloss der Weltschwimmverband, nur Hundertstelsekunden zu stoppen.
Beim Speer-, Diskus- und Hammerwurf kam ein Tachymeter zum Einsatz, der die Distanz optoelektronisch und per Triangulation ermittelte. Einen groben Eindruck liefert ein Film. Alle Wettbewerbsdaten flossen im Keller des Olympiastadions zusammen. Dort liefen zwei Computer des Typs Siemens 4004-45 und ihre Peripherie, ein dritter diente als Reserve. Einer der beiden Rechner kommunizierte mit 48 Außenstellen, der andere bereitete die Resultate für die Anzeigentafeln und die Wettkampf-Statistik auf. Auch zum Rechenzentrum ist ein Film erhalten.
Zwei weitere 4004-Systeme standen auf dem Siemens-Gelände im Süden von München. Sie speicherten die Datenbank GOLYM; sie enthielt Informationen zu den Olympia-Teilnehmern, zum Rahmenprogramm der Spiele und zur olympischen Geschichte. Die GOLYM-Computer versorgten 72 Auskunftsstellen auf den Sportstätten, im Pressezentrum, in der Münchner City sowie in Augsburg und Kiel. Dort saß jeweils eine Person vor einem kleinen Siemens-Monitor, um Fragen einzutippen und die Antworten mitzuteilen. Hier ist ein Video dazu.
Neben den Computern gab es bei den Münchner Spielen 6.700 Schreibmaschinen der Marke Olympia, die die gleichnamige Bürotechnik-Firma Organisatoren und Sportreportern zur Verfügung stellte. Trotz aller Vernetzung konnten jedoch Informationen verloren gehen. So erfuhr der amerikanische Leichtathlet Eddie Hart zu spät von einem 100-Meter-Zwischenlauf und wurde aus dem Wettbewerb genommen; er hielt damals den Weltrekord von 9,9 Sekunden. Gold bekam am Ende der Russe Walerij Borsow. Eddie Hart blieb nur die Teilnahme an der 4-mal-100-Meter-Staffel, die das Quartett der USA gewann.
Die Olympischen Sommerspiele 1972 endeten nicht wie geplant am 10. September, sondern einen Tag später. Der Grund war die eingeschobene Trauerfeier für die Opfer des Anschlags vom 5. September. Im heutigen München sind die Spiele noch sehr präsent in Gestalt des Olympiaparks, seiner Sportstätten und den Häusern des Olympischen Dorfs. Auch die Münchner U-Bahn verdankt ihnen viel. Die Siemens-4004-Rechner waren aber die letzten ihrer Art; der Konzern schuf in den 1970er-Jahren eine neue Baureihe. Die GOLYM-Anlage wurde angeblich in die UdSSR verkauft.
Wir bedanken uns beim Siemens Historical Institute für das Foto des Computers und bei Tobias Schrödel für fachliche Informationen. Mehr zur olympischen Technik steht in einer Siemens-Broschüre und einem Buch des Organisationskomitees. Die englische Version kann man herunterladen – Achtung, 43 MB. Hier geht es zur Eröffnungsfeier von 1972, und das ist der Olympiafilm „Visions of Eight“. Wir schließen mit dem olympischen Erbe des HNF: Unten ist der Presseausweis des späteren HNF-Geschäftsführers Norbert Ryska zu sehen.
Sport und Technik waren immer eng miteinander verbunden. Ein schöner Einblick in die Digitalgeschichte der 1970er-Jahre in der Bundesrepublik. Soweit ich weiß wurden bei der Olympiade 1980 in Moskau ebenfalls die in München „erprobten“ Systeme verwendet. Auch bei Winterolympiaden war dies üblich.
Ein gültiger Presseausweis zu Olympia 1972 war auch Geldes Wert. Die Kamerahersteller Leitz und Nikon boten allen akkreditierten Journalisten ihr gesamtes Produktspektrum für 50% des Ladenpreises an. Leider hatte ich mir für die Olympiade gerade schon eine Minolta-Kamera zugelegt. Angenehm war auch, dass die Filmhersteller ihr gesamtes Sortiment in hoher Stückzahl bereit stellten. Eine Entwicklung des Materials innerhalb von zwei Stunden (!) wurde garantiert.