Rechner für die Welt
Geschrieben am 27.09.2018 von HNF
Vor fünfzig Jahren wurde die Nixdorf Computer AG geboren; der Hauptaktionär hieß Heinz Nixdorf. Die NCAG entstand nicht via Neugründung, sondern durch Umbenennen einer anderen Firma, der Wanderer-Werke Köln. Sie waren der Abnehmer elektronischer Recheneinheiten gewesen, die Nixdorfs Labor für Impulstechnik in Paderborn fertigte. 1969 verschwand dieser Name, und es begann der Aufstieg des Computerherstellers.
„Staunend vernahmen die Manager der Wanderer-Werke AG in Köln das Unglaubliche. Die Amerikaner, größte Computer-Bauer der Welt, erteilten ihnen den Auftrag, 10.000 Elektronen-Rechner des Kölner Modells ‚Conti‘ zu liefern… Wanderers Alleininhaber Heinz Nixdorf, 42, hatte in den USA monatelang den Computer-Markt nach lukrativen Landstrichen abgesucht. Schließlich fand er die Lücke, die für Amerikas Rechnerriesen IBM und Radio Corporation of America (RCA) zu klein, für die Wanderer AG aber vielversprechend war…“
So der SPIEGEL am 7. Oktober 1968. Rechner für Amerika war der erste Artikel im Magazin, der Heinz Nixdorf erwähnte. Er brachte einen Lebenslauf und nannte seine 1952 gegründete Firma, das Labor für Impulstechnik: „Im April dieses Jahres hatte die Wanderer AG so wenig und Heinz Nixdorf so viel Geld in der Kasse, daß der Paderborner Impulstechniker die Kölner Fabrik für acht Millionen Mark kaufte.“ Und dann hieß es in einer Fußnote: „In der vorigen Woche wurde die Wanderer AG in ‚Nixdorf Computer AG‘ umbenannt.“
Das geschah am 1. Oktober 1968 und war eines der Ereignisse, die zum Paderborner Computerriesen führten, wie er in die Geschichte einging. Eine wichtige Voraussetzung war die Geschäftsbeziehung von Heinz Nixdorf zur Exacta Büromaschinen GmbH in Köln. Die Gesellschaft war 1947 von früheren Mitarbeitern der Chemnitzer Astrawerke gegründet worden. Heinz Nixdorfs Labor baute ab 1959 die Elektronik für den Buchungsautomaten Exacta Continental 6000. Sie basierte schon auf Germanium-Transistoren.
1960 wurde Exacta komplett von den Münchner Wanderer-Werken übernommen. Man hieß jetzt Wanderer-Büromaschinenwerke, ab 1963 Wanderer-Werke AG. Auf der Hannover Messe des Jahres 1965 zeigten die Kölner zwei Attraktionen, den Buchungscomputer Logatronic und den elektronischen Tischrechner Conti. Bei beiden kam das Innenleben vom Labor für Impulstechnik. Die Wanderer Conti war nicht die erste Rechenmaschine mit Transistoren, doch die erste, die zusätzlich noch ein Druckwerk besaß.
1966 machte Wanderer 66 Millionen DM Umsatz, doch nun ebbte die Konjunktur ab. Die Firma geriet in die Krise, die Schulden stiegen, und auch die Halbierung der Belegschaft auf 700 Angestellte half nicht. Die Banken verloren das Vertrauen und suchten einen Retter. Sie fanden ihn in Paderborn. Am 24. April 1968 erwarben Heinz Nixdorf und seine Frau Renate für acht Millionen DM die Wanderer-Aktien. Außerdem bezahlten sie neun Millionen DM an Bankschulden. Zum Vergleich: 1967 setzte Nixdorfs Labor 48 Millionen DM um.
Der Sitz der Nixdorf Computer AG zog von Köln nach Paderborn, doch zunächst besaß Heinz Nixdorf zwei Unternehmen. Am 23. April 1969 kaufte er sich dann selbst: Rückwirkend zum 1. Oktober 1968 schluckte die neue NCAG das Labor für Impulstechnik. Auf diese Weise blieb der Verlustvortrag der Wanderer-Werke in der Bilanz erhalten. Die Entwicklungskosten des Labors ließen sich als Abschreibung geltend machen. Ein besonderer Leckerbissen war das Vertriebsnetz der Kölner Firma: 1969 hatte die neue NCAG sechzig Generalvertretungen.
1968 betrug der Umsatz des noch existierenden Labors für Impulstechnik 105 Millionen DM; der Wanderer-Umsatz wurde hier mitgezählt. Ein Jahr später setzte die Nixdorf Computer AG Waren und Leistungen im Wert von knapp 179 Millionen ab. 1978 wurde die Milliardengrenze geknackt. Im Frühjahr 1969 stellte Heinz Nixdorf, siehe Eingangsbild, unter eigenem Namen in Hannover aus. Die Wanderer Conti hieß jetzt Nixdorf Conti, das Erfolgsmodell war aber der Magnetkontenrechner Nixdorf 820, ein Nachfahre der Wanderer Logatronic.
1971 war es wieder Zeit für einen SPIEGEL-Artikel. Diesmal ging es um einen Triumph von Heinz Nixdorf in Japan. Was aber wurde aus dem „Elektronen-Rechner“ für Amerika, den die Zeitschrift 1968 bejubelt hatte? Leider kein großer Erfolg. Der Vertrieb der westdeutschen Conti-Typen lief 1969 aus. Das US-Modell Victor 1500 wurde bis 1973 angeboten, 6.800 Einheiten fanden einen Abnehmer. Die Computerabteilung des Herstellers Victor wurde im November 1972 von einer deutschen Firma gekauft. Ihr Name: Nixdorf Computer AG.