Silicon Cowboys
Geschrieben am 04.12.2020 von HNF
Am 1. September 1981 traf sich der Texas-Instruments-Ingenieur Rod Canion mit zwei Arbeitskollegen in Houston. Sie beschlossen, sich selbstständig zu machen. Ihre Firma Compaq startete im Februar 1982; im März 1983 erschien der Compaq Portable. Er war kompatibel zum IBM PC und ein Bestseller. Compaq wurde zum Großunternehmen; 2002 erfolgte aber die Übernahme durch Hewlett-Packard.
Die Computerwelt kennt große Namen – IBM und Apple, Amiga und Atari, Zuse und Nixdorf. Daneben gibt es Firmen, die in Vergessenheit gerieten, aber dennoch eine überragende Bedeutung für die Entwicklung der Technik hatten. Ein solches Unternehmen war die Compaq Computer Corporation aus Houston in Texas.
Die Geschichte von Compaq beginnt in der texanischen Haupt- und Universitätsstadt Austin; sie liegt 230 Kilometer westlich von Houston. 1981 war sie Sitz der Computerabteilung des Elektronikriesen Texas Instruments. Dort arbeiteten im mittleren Management drei Männer, die mit ihren Jobs nicht mehr zufrieden waren: Joseph Rodney Canion oder Rod, wie er meist genannt wurde, hatte eine Ingenieursausbildung und Talent für Betriebswirtschaft, Jim Harris war Ingenieur und Bill Murto Vertriebsspezialist.
Am Abend des 1. Septembers 1981 traf sich das Trio im Haus von Murto in einem Vorort von Houston. Das Ergebnis des Gesprächs war der Beschluss, eine Firma für Computer-Hardware zu gründen. Zunächst dachten die Drei an ein Diskettenlaufwerk für den neuen Personal Computer von IBM; im Dezember kündigten sie ihre Stellen bei Texas Instruments. Sehr schnell stellte sich heraus, dass sie für das Projekt kein Geld bekommen würden. Canion kam dann auf die Idee, einen tragbaren und zum IBM PC kompatiblen Rechner anzugehen.
Mit dem in Dallas ansässigen Finanzier Benjamin Rosen fanden Rod Canion und seine Freunde einen Inverstor. Am 16. Februar 1982 gründeten sie in Houston die Firma Gateway Technology. Jeder der Drei beteiligte sich mit 1.000 Dollar; Geschäftsführer wurde Canion. Im November kündigte die Firma – sie nannte sich jetzt Compaq – das erste Produkt an. Es ist im Eingangsbild zu sehen. Der Compaq Portable erinnerte an die älteren„Schlepptops“ Osborne 1 und Kaypro II. Er enthielt aber keinen Z80-Prozessor, sondern den Intel 8088.
Außerdem benutzte er das Betriebssystem MS-DOS von Microsoft. Damit konnte der Compaq praktisch alle Programme bearbeiten, die für den seit 1981 erhältlichen IBM PC erstellt wurden. Die fest programmierten Grundfunktionen des Computers, das Basic Input/Outpus System oder BIOS, hatten die Compaq-Ingenieure nicht kopiert, sondern durch Probieren ermittelt und neu geschrieben. Die Einstiegsversion des Rechners besaß einen Arbeitsspeicher von 128 Kilobyte und ein Diskettenlaufwerk; der Preis betrug 2.995 Dollar. Die Version mit zwei Laufwerken kostete 3.590 Dollar.
Im März 1983 kam der Compaq Portable in den Handel. Er verkaufte sich glänzend; bis Jahresende setzte die Firma 53.000 Stück ab und nahm 111 Millionen Dollar ein. Zum gleichen Zeitpunkt liefen im Lande 750.000 IBM PCs, aber für einen Start-up waren die Zahlen ein Rekord. 1984 strömten 329 Millionen Dollar in die Compaq-Kasse und 1985 eine halbe Milliarde. Das bedeutete die Aufnahme in die Fortune-500-Liste. Mit dem ersten Modell der DeskPro-Serie betrat der Hersteller 1984 das Feld der Desktop-Systeme.
Compaqs Erfolg spornte andere Firmen zum Bau ähnlicher IBM-kompatibler Computer an. Allmählich verringerte sich der Anteil von IBM im PC-Markt. Big Blue ging zunächst juristisch dagegen vor und wies Compaq die Verletzung eines IBM-Copyrights nach. Rod Canion erwarb es für 130 Millionen Dollar und machte weiter. 1987 brachte IBM als Nachfolger des PC das Personal System/2 mit einer neuen Computerarchitektur heraus. Der Micro Channel sollte den IBM-Kompatiblen das Geschäft verderben, doch er scheiterte auf ganzer Linie.
In den frühen 1990er-Jahren war Compaq ein Großunternehmen. Mittlerweile gab es aber Konkurrenten, die ebenso gute Rechner zu kleineren Preisen anboten, etwa Gateway 2000 oder die Dell Computer Corporation. 1991 machte Compaq zum ersten Mal Verlust, und es kam zu Entlassungen. Rod Canion musste den Chefsessel räumen. Eine führende Rolle beim Rauswurf spielte der Aufsichtsratsvorsitzende Benjamin Rosen – wir haben ihn als Compaq-Finanzier kennengelernt. Nachfolger von Canion wurde der frühere Europa-Direktor der Firma, der gebürtige Deutsche Eckhard Pfeiffer.
Unter Pfeiffer setzte sich der Aufstieg des Unternehmens fort. 1998 erwarb Compaq die Digital Equipment Corporation und war anschließend der zweitgrößte Computerhersteller der Welt nach IBM. Ein Jahr später wurde aber auch Eckhard Pfeiffer an die Luft gesetzt. 2001 übernahm Dell die Spitze im PC-Markt. 2002 fusionierte Compaq mit Hewlett-Packard. Die texanische Firma verzeichnete damals einen Umsatz von 40 Milliarden Dollar, der kalifornische Partner hatte Einnahmen von 47 Milliarden.
So endeten zwei Jahrzehnte texanische Computergeschichte. Nacherleben kann man sie im amerikanischen Dokumentarfilm „Silicon Cowboys“ aus dem Jahr 2016. Er ist nicht nur als DVD erhältlich, sondern auch im Netz verfügbar. Dort findet sich ebenso ein Vortrag von Rod Canion, den er im Dezember 1982 in Boston hielt. 2013 erschienen seine Memoiren Open. Sie inspirierten später die Macher der Fernsehserie Halt and Catch Fire; die erste Staffel ist eine freie Nacherzählung der Compaq-Anfänge.