Starparade der Superrechner
Geschrieben am 27.06.2023 von HNF
1976 lief der ersten Supercomputer, gebaut hatte ihn das amerikanische Unternehmen Cray Research. 1986 erschien eine Statistik für solcher Rechner; sie verfasste der Mannheimer Informatiker Hans-Werner Meuer. Am 24. Juni 1993 gab er die allererste Top-500-Liste für Supercomputer bekannt. Sie kommt seitdem zweimal im Jahr und bringt uns detaillierte Einblicke in den Fortschritt der Technik.
„Auf dem Mannheimer Supercomputer-Seminar wurde als Weltpremiere die Liste der ‚Top-500‘-Supercomputer präsentiert. Zum erstenmal überhaupt konnte durch intensive Befragung aller relevanten Hersteller, unabhängiger Experten in USA, Japan und Europa sowie der an das ‚Internet‘ angeschlossenen Anwender Licht in den bisher diffusen Markt der Formel-1-Supercomputer gebracht werden.“
Das schrieb die Computerwoche im Juni 1993. Das erwähnte Seminar fand vom 24. bis 26. Juni statt; geleitet wurde es vom Direktor des Rechenzentrums der Universität Mannheim, Hans-Werner Meuer. Es umfasste achtzehn Vorträge und die Mannheimer Supercomputer-Statistik – zu ihr kommen wir gleich. Hochleistungsrechner waren 1993 nicht mehr neu. Der SPIEGEL berichtete 1978 von Seymour Cray und seinen Maschinen; im Jahr 1988 stellte das Deutsche Museum eine Cray-1 in der Abteilung für Informatik und Automatik aus. Unser Eingangsbild zeigt die Cray-2 des HNF.
Wer war Hans-Werner Meuer? Geboren wurde er am 7. Juni 1936 im hessischen Laubach. Er studierte Mathematik, Physik und Politikwissenschaft in Marburg, Gießen und Wien. In den 1960er-Jahren arbeitete er im Forschungszentrum Jülich und setzte sein Studium an der RWTH Aachen fort; 1972 promovierte er über ein Thema aus der angewandte Mathematik. Ab 1974 leitete Meuer das Rechenzentrum der 1967 gegründeten Universität Mannheim und wurde Honorarprofessor. Die Hochschule besaß seit 1971 einen Fachbereich für Informatik.
Am 20. und 21. Juni 1986 richtete Meuer das erste Mannheimer Supercomputer-Seminar aus; es kamen rund hundert Interessenten. Damals liefen in der Welt 187 Hochleistungsrechner; sie stammten von Cray Research, der Control Data Corporation und den japanischen Herstellern Hitachi, Fujitsu und NEC. Über die Hälfte standen in den USA und in Kanada. 1992 hatte sich die Zahl der Cray- und Cray-ähnlichen Supercomputer auf 530 erhöht. Sie wurden auch Vektorrechner genannt, da sie viele Operationen eines Typs ausführten.
Im gleichen Jahr tat sich Hans-Werne Meuer mit dem Mathematiker und Informatiker Jack Dongarra zusammen. Geboren 1950 in Chicago, arbeitete Dongarra in der Universität des US-Bundesstaates Tennessee. Seine Spezialität waren Algorithmen und Benchmarks, Verfahren zur Leistungsabschätzung von Rechenanlagen. Dazu schuf er das Softwarepaket LINPACK, das riesige lineare Gleichungssysteme löste. Meuer und Dongarra erkannten, dass man mit LINPACK auch Supercomputer bewerten konnte.
Vor dem Supercomputer-Seminar 1993 sammelten Dongarra und Meuer die Leistungsdaten von mehreren hundert Rechnern, ausgedrückt in Gigaflops pro Sekunde. Ein Gigaflop ist eine Milliarde Gleitkomma-Operationen; die Forscher unterschieden dabei die gemessene Höchstleistung Rmax vom theoretisch möglichen Spitzenwert Rpeak. Die Kleinarbeit beim Anfertigen der Rangfolge leistete der promovierte Physiker Erich Strohmaier, der seit 1990 im Uni-Rechenzentrum tätig war. Aufgenommen wurden 500 Systeme; da stand auch die Fortune-500-Liste der gleichnamigen Zeitschrift Pate.
Am 24. Juni 1993 verkündete Hans-Werner Meuer die erste Top-500-Liste. Die ersten vier Plätze belegte die Connection Machine CM-5 der Thinking Machines Corporation. Das Spitzenmodell enthielt 1.024 Prozessoren und schaffte 59,7 Gigaflops. Platz 5 und Platz 6 gehörten NEC-Computern, es folgten eine weitere Connection Machine und ein Rechner vom Chip-Hersteller Intel. Auf den Plätzen von 9 bis 20 finden wir die Cray Y-MP. Meuer erstellte ebenso eine Top-50-Liste der in Deutschland stehenden Superrechner; ihre Leistungen betrugen insgesamt 47,8 Gigaflops.
So begann 1993 die Top-500-Geschichte. Seitdem erscheinen die Listen zweimal pro Jahr, im Juni in Deutschland und im November in den USA. Sie liefern Einblicke in den technischen Fortschritt und den Konkurrenzkampf der High-Tech-Supermächte wie auch der großen Chip-Produzenten. 2023 erschien die Juni-Liste abweichend von der Regel schon im Mai. Wie man sich denken kann, tauchen wenig Supercomputer made in Germany auf; bekannt sind aber Einträge der 1985 in Aachen gegründeten Firma Parsytec und des Chemnitzer Unternehmens MEGWARE. Es startete am 1. Februar 1990, also in den letzten Monaten der DDR.
Informationen zu den Top-500-Listen bringen die Homepage sowie die deutsche und die englische Wikipedia, in die Frühzeit schaut dieser Bericht. Videos dokumentieren die Supercomputer-Tagung, die im Juni 2009 in Hamburg stattfand; wir treffen unter anderem Andreas von Bechtolsheim, Erich Strohmaier und Hans-Werner Meuer. Er starb am 20. Januar 2014 in Daisbach bei Heidelberg. Jack Dongarra gewann 2022 für seine Verdienste im Supercomputing den Turing-Preis – davon können deutsche Informatiker nur träumen.