Unbekannte Größen
Geschrieben am 28.02.2017 von HNF
Februar ist Oscar-Monat, und am Sonntag verlieh die US-Filmakademie die begehrten Preise. Dreifach nominiert war „Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen“; er gewann leider keinen Oscar. Der Film porträtiert drei afroamerikanische Frauen, die in den frühen 1960er-Jahren als Rechnerinnen für die NASA arbeiten. Ihr Arbeitsplatz liegt in den Südstaaten, wo damals noch die sogenannte Rassentrennung praktiziert wurde.
Das Wort „Computer“ stammt aus dem Englischen und heißt Rechner. Es meint in der Regel eine große oder kleine digitale Rechenanlage. Als diese noch selten waren, bezeichnete das Wort aber auch einen menschlichen Rechner. Oder eine Rechnerin, denn meistens waren es Frauen, die wissenschaftliche und technische Kalkulationen als Vollzeitjob ausführten.
2016 brachten amerikanische Verlage zwei Bücher heraus, die sich den Rechnerinnen in der Luft- und Raumfahrt widmeten. Rise of the Rocket Girls von Nathalia Holt behandelte das kalifornische Jet Propulsion Laboratory. Margot Lee Shetterly schrieb in Hidden Figures über das Langley-Forschungszentrum in Virginia. „Figures“ können Ziffern oder Menschen sein. Mit dem Untertitel Unerkannte Heldinnen erschien das Buch vor einem Monat auch bei uns. Parallel entstand ein Film, der am 2. Februar in den deutschen Kinos anlief.
Der Film Hidden Figures basiert also auf Tatsachen. Seine drei Heldinnen Katherine Goble (nach der Heirat Katherine Johnson), Mary Jackson und Dorothy Vaughan heißen so wie die realen Vorbilder und arbeiten als „Computer“ im erwähnten Forschungszentrum. Die drei sind Afroamerikanerinnen, siehe unser Eingangsbild, und stammen aus den Südstaaten. Auch ihr Arbeitsplatz liegt in Virginia. Dort gilt an vielen Orten die sogenannte Rassentrennung, denn wir schreiben das Jahr 1961. Der Film führt sie lebhaft vor.
Schwarzen Amerikanern wird das Leben schwer gemacht, wobei alles durch Paragraphen gedeckt ist. Im Laufe der 1960er-Jahre ändern sich durch die Bürgerrechtsbewegungen und neue Gesetze die politischen Zustände. Wer entschlossen handelt, kann schon 1961 gegen die Auswüchse der Segregation angehen, und auch das wird im Kino gezeigt. „Hidden Figures“ ist somit ein Film über die jüngere Geschichte der Vereinigten Staaten. Er ist aber ebenso ein Film zur Technikgeschichte.
Zu Beginn sehen wir Katherine, Mary und Dorothy in ihrer Abteilung, der West Computing Group. Hier sitzen Afroamerikanerinnen an Friden-Rechenmaschinen und rechnen. Danach laufen die Wege der Freundinnen auseinander. Katherine (gespielt von Taraji Henson) kommt zur Space Task Group und Mary (Janelle Monáe) zu den Aerodynamikern. Sie testen die Mercury-Raumkapsel der NASA. Dorothy (Octavia Spencer) bringt einen gerade gelieferten Großrechner vom Typ IBM 7090 zum Laufen und wechselt in die Computerabteilung.
In Langley arbeitet ein Team von Forschern, eben jene Space Task Group. Sie bereiten die Starts von Raumkapseln vor. Zurzeit liegen noch die Russen vorn. Sie haben die stärkeren Trägerraketen und schickten im April 1961 mit Juri Gagarin den ersten Menschen ins All. Den Leiter der Space Task Group spielt Kevin Kostner; in unserem Film heißt er Al Harrison. Aus juristischen Gründen musste das Studio einen fiktiven Namen verwenden; der wahre Leiter der Gruppe war der NASA-Manager Robert Gilruth.
Die kluge Katherine berechnet im Film die Flüge der ersten drei NASA-Astronauten Alan Shepard, Virgil Grissom und John Glenn. Die Arbeit für Shepard ist belegt und ebenso die Anekdote, dass sie auf Wunsch von Glenn die Berechnung des Computers überprüfte. Auf der Leinwand bildet diese Geschichte den Höhepunkt. Das Drehbuch verlegt sie direkt vor den Start von Glenns Rakete am 20. Februar 1962, was so nicht stimmen dürfte. Wahrscheinlich fand sie einige Tage vorher statt.
Wie in Hollywood üblich, änderten die Drehbuchautoren den Ablauf der Ereignisse, um die Dramatik zu fördern. So gab es die Abteilung mit afroamerikanischen Rechnerinnen im Jahr 1961 schon gar nicht mehr. Die West Computing Group – der richtige Name war West Area Computing Unit – florierte von 1943 bis 1958 und schloss, als das Forschungszentrum ein Teil der NASA wurde. In den 1960er-Jahren setzte sich die Raumfahrtbehörde aktiv und erfolgreich für die Beseitigung der Rassentrennung ein.
Ziemlich neben der Spur sind die „Hidden Figures“ am Schluss, wenn das Kontrollzentrum für die Mercury-Flüge vom Startplatz Cape Canaveral auf das Langley-Gelände verlegt wird. Dafür gaben sich die Filmausstatter alle erdenkliche Mühe, etwa mit den Autos oder der IBM 7090 und ihren Lochkartengeräten und Bandlaufwerken. Eindrucksvoll wirkt auch die gigantische Wandtafel der Space Task Group, zu der Katherine die Leiter hochsteigt. Hier ließ sich das Filmteam durch ein Foto der Illustrierten LIFE inspirieren.
Fazit: „Hidden Figures“ ist ein Film, der Spaß macht und der natürlich auch gut endet. Den Rechnerinnen aller Länder und Zeiten setzt er ein würdiges Denkmal. Im Internet gibt es viel Hintergrundmaterial zu den Langley-Rechnerinnen, zum Film und seinen Heldinnen und zu ihren Geräten. Zwei der drei porträtierten Damen, Mary Jackson und Dorothy Vaughan, sind verstorben, doch Katherine Johnson lebt und geht auf den 99. Geburtstag zu. 2015 erhielt sie die Freiheitsmedaille des amerikanischen Präsidenten.
Das Original-Drehbuch der „Hidden Figures“ ist online, seine Autoren wurden für den Oscar nominiert. Ebenfalls nominiert wurde die Schauspielerin Octavia Spencer, die Dorothy Vaughan verkörperte. Außerdem bewarb sich das Studio um den Preis für den besten Film. Leider gab es am Ende nichts für unsere unbekannten Größen. Unten ist das Foto eines richtigen Computers zu sehen, einer IBM 7094, einer nahen Verwandten der 7090.
Foto: ArnoldReinhold CC BY-SA 3.0, Eingangsbild: 20th Century Fox