Vor 30 Jahren – die Siedler sind da
Geschrieben am 30.06.2023 von HNF
Spät kam er, doch er kam: der erste deutsche Computerspiel-Klassiker. Am 30. Juni 1993 brachte das Studio Blue Byte in Mülheim an der Ruhr „Die Siedler“ heraus. Autor war der damals 23 Jahre alte Volker Wertich. Die Siedler siedeln in einem fiktiven Mittelalter und kontrollieren eine Region. Bis heute entstanden ein Dutzend Folgen des Spiels.
1972 begann mit Odyssey und Pong die Ära der Videospiele. Ab 1978 erschienen Superhits wie Space Invaders, Asteroids, Pac-Man und Donkey Kong, angeboten wurden ebenso Schachprogramme und Flugsimulatoren. 1985 war das Jahr der Super Mario Brothers. Die Neunziger brachten Grand Theft Auto, Need for Speed, Resident Evil, Tomb Raider, den Igel Sonic und das bedauernswerte Moorhuhn; außerdem bescherten sie uns ein Spiel, das deutsche Game-Geschichte schrieb.
Sein Urheber Volker Wertich kommt aus Ingelheim am Rhein, geboren wurde er am 21. Juli 1969. Schon als Teenager schuf er das Computerspiel Emerald Mine, eine freie Kopie des amerikanischen Spiels Boulder Dash. Die Smaragdmine verkaufte ab 1987 die Aachener Firma Kingsoft; sie zog zwei Fortsetzungen nach sich. 1991 hatte Wertich genug Geld auf dem Konto, um ein völlig neues Spiel anzugehen. Er rechnete mit einer Entwicklungszeit von etwa zehn Monaten; der Titel lautete Die Siedler.
Aus den zehn wurden zwanzig Monate, doch am 30. Juni 1993 lag das Spiel vor; Fertigung und Vetrieb übernahm die in Mülheim an der Ruhr ansässige Firma Blue Byte. Volker Wertich entwickelte „Die Siedler“ für den Commodore Amiga; dazu schrieb er 70.000 Zeilen in der Assemblersprache des Motorola-Mikroprozessors. Die Animationen erstellte der Designer Christoph Werner, die Musik komponierten Haiko Ruttmann und Markus Kludzuweit; in der Endphase halfen noch einige andere Mitarbeiter. Das Budget betrug rund 200.000 DM.
„Die Siedler“ sind eine Mischung aus Aufbau- und Politik-Simulation; Werlich ließ sich auch durch die amerikanischen Spiele Little Computer People und Populous inspirieren. Das Besondere waren aber die 4.000 bis 64.000 Bewohner, die durch die Szenerie wuselten. Sie gingen – hier folgen wir der Spielbeschreibung – zwanzig unterschiedlichen Berufen nach und wurden von fünf Rittertypen kommandiert. Einen guten Eindruck vom Spiel vermittelt dieses Video, eine noch längere Passage findet sich hier.
Nach der Urversion für den Amiga produzierte ein Mannheimer Entwicklungsstudio 1994 eine Siedler-Ausgabe für die MS-DOS-Welt. Unter dem Titel „Serf City“ erschien sie in den USA; später verwendete man den Namen „The Settlers“. Im April 1996 brachte Blue Byte den Nachfolger Die Siedler II – Veni, Vidi, Vici in den Handel; er spielte in der Römerzeit. Volker Werlich war daran nicht beteiligt, er wirkte aber am dritten Teil mit, der im Römerreich, im alten Ägypten und in Asien angesiedelt wurde. Er ist oben und im Eingangsbild zu sehen. Im Februar 2023 kam die vorerst letzte Folge Die Siedler: Neue Allianzen heraus.
„Die Siedler“ waren der erste große Erfolg der deutschen Computerspielbranche. In den ersten drei Jahren wurden über 215.000 Einheiten verkauft, bis Mai 1998 mehr als 400.000. Im Juni 2003 hatte Blue Byte von allen Versionen 4,5 Millionen Stück abgesetzt. Die Zehn-Millionen-Grenze überwanden die Siedler im September 2014. Nachzutragen ist, dass Blue Byte seit Februar 2001 dem französischen Verlag Ubisoft gehört und 2003 nach Düsseldorf zog. Volker Wertich betreibt heute in Ingelheim das Spielestudio Envision Entertainment.
Sein Spiel von 1993 beeinflusste natürlich die Games-Welt. 1998 schuf das österreichische Studio Max Design Anno 1602, das ebenfalls ein Erfolg wurde. Es zog sechs Fortsetzungen und vier Ableger nach sich. Auch das Brettspiel Die Siedler von Catan entwickelte sich ab 1995 zu einem globalen Hit. Sein Erfinder Klaus Teuber war ursprünglich Zahntechniker. 1999 entstand aus dem analogen Spielevergnügen ein digitales PC-Programm. Unseren wuselnden Siedlern gratulieren wir aber herzlich zum 30. Geburtstag.