Wann kommt die Klassenarbeit?

Geschrieben am 18.07.2023 von

Im Juli 1948 beschrieb die englische Zeitschrift „Mind“ ein logisches Rätsel. Es verbreitete sich dann unter den Namen Prediction Paradox und Paradoxie der unerwarteten Prüfung; in den USA wurde es zum Henker-Paradox. Bis heute erschienen dazu Hunderte von Artikeln in der philosophischen Literatur. 75 Jahre nach seiner Veröffentlichung hat der HNF-Blog das Rätsel endlich gelöst.

Ein Lehrer kündigt am Freitag seiner Klasse einen schriftlichen Test in der folgenden Woche an. Er sagt weiter, dass die Schüler den Termin erst am betreffenden Tage erfahren würden. Die Schüler entgegnen, dass ein solcher Test logisch unmöglich ist. Fände er am Freitag statt, wäre das am Vorabend bekannt, da bis Donnerstag keine Prüfung stattgefunden hätte. Analog lassen sich die Termine Donnerstag, Mittwoch, Dienstag und Montag ausschließen. Umso größer fällt die Überraschung der Schüler aus, als der Lehrer am Mittwoch den Test tatsächlich schreiben lässt.

Das ist die Essenz eines Paradoxons, das die Philosophiezeitschrift Mind im Juli-Heft des Jahres 1948 veröffentlichte. In der Urfassung ging es um eine militärische Übung, später kam es zu überraschenden Klassenarbeiten und unerwarteten Hinrichtungen. Allen Versionen gemeinsam ist der Widerspruch zwischen einer logischen Deduktion, dass etwas nicht passiert, und dem Einbruch der Realität: Es passiert eben doch. In Amerika befassten sich große Geister mit dem Problem, zum Beispiel Willard Van Orman Quine, Richard Montague und Martin Gardner, bei uns eher Denker in der akademischen Provinz.

Wir wollen aber die Geschichte des Paradoxons überspringen und zur Lösung vordringen: Dabei beschränken wir uns auf den einfachsten Fall mit zwei Terminen, etwa Dienstag und Freitag. Nehmen wir an, der Lehrer sagt den Schülern: „Nächste Woche kommt ein Test, und ihr wisst nicht, wann.“ Daraus folgt: Falls er nicht am Dienstag geschrieben wird, bleibt nur der Freitag, aber dann wäre der Test keine Überraschung mehr. Er muss also am Dienstag stattfinden, doch das überrascht ebenso wenig. Andererseits kann der Lehrer am Dienstag durchaus den Test ansetzen, und er käme sogar überraschend.

Denkender Schüler  (Bild Konrad Zuse Internet Archive CC BY-NC-SA 3.0 seitlich beschnitten)

Sicher ist, dass am Dienstag ein Test stattfindet. Zweitens impliziert der Satz des Lehrers, dass nichts dergleichen mitgeteilt wurde – die Schüler sollen am Morgen der Prüfung völlig ahnungslos sein. Das hört sich wie ein logischer Widerspruch an, doch der Fehler steckt ganz woanders. Eine überraschende Aktion lässt sich nicht ankündigen. Ausgeschlossen sind auch Formulierungen wie „Am Tag X passiert Y, und das wisst ihr nicht“ oder „und das habe ich nicht gesagt“. Der Sprachgebrauch, sei es im Deutschen oder Englischen, erlaubt nur eine vernünftige Handlungsweise: nichts oder nicht alles zu sagen.

Von der Aussage „Nächste Woche kommt ein Test, und ihr wisst nicht, wann.“ stimmt also die erste Hälfte, die zweite ist eine sinnlose Verkettung von Worten, die zum Paradox führt. Aber in diesem wird der überraschende Test geschrieben, in der zu Beginn erwähnten Form mit fünf Terminen und ebenso in der mit zwei Tagen. Hat der Lehrer vielleicht am Ende recht? Die Sinnhaftigkeit eines Satzes hängt jedoch vom Kontext ab. Wenn der Lehrer sich an die Klasse wendet und sie angeblich nichts mitkriegt („ihr wisst nicht“), dann ist die Mitteilung Unsinn, der allerdings nach dem Ereignis Sinn gewinnt.

So lässt sich auch ein zweites Rätsel lösen, das man das Tiffany Paradox nennen kann; es stammt von Martin Gardner. Hier sagt ein Mann seiner Ehefrau, dass er sie am Geburtstag mit einem Armband aus einem New Yorker Juwelenhaus überraschen würde. Die Frau ist total verwirrt, wird aber einen Tag später am Geburtstag in eben dieser Form erfreut. Die Mitteilung des Ehemanns hört sich wie die Ankündigung einer kommenden Überraschung an, doch da sich diese nicht ankündigen lässt, sind seine Worte im Grunde Nonsens.

Festzuhalten bleibt: Das Prediction Paradox ist kein Paradox der Logik und von Wahr- und Falschheit, sondern eines des Sprachgebrauchs. Es geht darum, wie wir mit der Sprache Fakten übermitteln oder nicht übermitteln. Wir schauen sozusagen hinter die Logik. Dabei verläuft im Leben vieles anders, als Logiker und Philosophen glauben. So würden echte Schüler nach der Ankündigung des Lehrers sicher nicht den Test wegdiskutieren, sondern Verdacht schöpfen und sich auf eine Prüfung am Dienstag vorbereiten.

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