Weltausstellung Seattle: Das 21. Jahrhundert ruft

Geschrieben am 19.04.2022 von

Vor sechzig Jahren, am 21. April 1962, eröffnete in Seattle die Weltausstellung; sie dauerte sechs Monate. Unter dem Motto „Man in the Space Age“ lieferte sie eine optimistische Sicht der Zukunft und betonte den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt. Auch die Firma IBM war vertreten; den Berliner Pavillon entwarf der spätere Gestalter des HNF Ludwig Thürmer.

1962 liefen schon viele Computer, doch für die Öffentlichkeit lebte die Menschheit im Atomzeitalter und in dem der Raumfahrt. Im April 1961 umkreiste Juri Gagarin als erster Mensch die Erde im All; ein Jahr später schaffte das der amerikanische Astronaut John Glenn. Seit dem Aufruf von Präsident Kennedy im Mai 1961 arbeitete die NASA an der Mondlandung.

Es verwundert also nicht, dass die Organisatoren der Weltausstellung von Seattle ihrer Schau das Motto „Man in the Space Age“ gaben – der Mensch im Raumfahrtzeitalter. Die Century 21 Exposition, wie der amtliche Titel lautete, öffnete am 21. April 1961 ihre Pforten und schloss sie am 21. Oktober. In sechs Monaten strömten 9,6 Millionen Besucher auf das dreißig Hektar große Gelände. Sie brachten so viel Geld in die Kassen, dass die Ausstellung einen Gewinn erwirtschaftete, eine Seltenheit in der Expo-Geschichte.

1962 erwartete man für die Zukunft flotte Autos wie den Firebird III.

Bei uns erregte das Projekt wenig Aufsehen. Seattle lag weit weg im waldigen Nordwesten der USA; höchstens Luftfahrtexperten wussten, dass dort die neuen Passagierjets vom Typ Boeing 707 gebaut wurden. Die Wochenschau fasste sich kurz: Bitte zu Minute 4:25 gehen. An Presseartikeln deutscher Sprache fanden wir nur einen Bericht der „Österreichischen Apothekerzeitung“. Das Desinteresse der Medien war bedauerlich, denn zwei Attraktionen der Weltausstellung hatten Vorbilder in der Bundesrepublik.

So inspirierte der 1956 vollendete Stuttgarter Fernsehturm das Wahrzeichen der Expo, die 184 Meter hohe Space Needle. Die Weltraumnadel sah etwas futuristischer aus als das schwäbische Vorbild; sie erhebt sich rechts in unserem Eingangsbild. In gleicher Weise führte die 1952 bei Köln angelegte Alwegbahn zur Monorail von Seattle. Die doppelgleisige Einschienenbahn verband über eine Strecke von 1,6 Kilometern das Stadtzentrum mit der Weltausstellung. Die beiden Züge fertigte die Waggonfabrik LHB in Salzgitter.

Der Beitrag der Firma IBM zur Weltausstellung umfasste zwei Häuser mit Garten. (Foto Werner Lenggenhager, The Seattle Public Library Special Collections)

Space Needle und Monorail drückten den Zukunftsglauben der Schau aus, der sich ebenso im Motto und im Namen Century 21 niederschlug. Den Fortschritt brachten Wissenschaft und Technik; das United States Science Exhibit lockte mit sechs Hallen die Besucher an. Erhalten ist der Begrüßungsfilm von den Designern Charles und Ray Eames. Die NASA kam mit einem eigenen Pavillon. Gleich daneben befand sich das Coliseum des Bundesstaats Washington, in dem Seattle liegt. Das Obergeschoss der riesigen Halle schilderte schon die Welt von morgen.

Wo blieben die Computer? Ein Univac-System stand im Erdgeschoss des Coliseums auf dem Stand der American Library Association, der größten Bibliotheken-Vereinigung der Welt. Die Firma IBM errichtete zwei Pavillons im Bungalow-Stil. Sie enthielten einen Gang durch die Geschichte der Datenverarbeitung und ein Zahlen-Labyrinth für Kinder. An anderen Plätzen installierte Big Blue einen IBM-1620-Rechner sowie die Shoebox, ein Gerät zum Erkennen gesprochener Worte. Die Bedienung der Schuhschachtel zeigt ein Video.

Im wissenschaftlichen Teil führte Big Blue eine IBM 1620 mit Plotter vor. (Foto IMLS Digital Collections & Content/Museum of History & Industry Seattle CC BY 2.0 unten beschnitten)

Das Neueste aus der Telefontechnik bot das Haus des AT&T-Konzerns. Auch zu ihm liegt im Netz ein Video vor. Wie bei anderen Weltausstellungen gab es in Seattle Länderpavillons; die Mitglieder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, darunter die Bundesrepublik, teilten sich allerdings ein einziges Gebäude. Ein besonderer Pavillon stellte die Geschichte und Gegenwart von Berlin dar; das ist das zugehörige Faltblatt. Gestaltet hatte ihn der Architekt und Ausstellungsmacher Ludwig Thürmer, der dreißig Jahre später für das HNF arbeitete – wir würdigten ihn im Blog.

Sechzig Jahre nach Eröffnung der Weltausstellung darf man sagen, dass sie Seattle viel Gutes brachte. Die Space Needle ist das Symbol der Stadt, und die Alwegbahn fährt noch. Das United States Science Exhibit wurde ein Science Center, man sieht seine weißen Bögen im Eingangsbild neben der Weltraumnadel. Das Pyramidendach des Coliseums – die heutige Climate Pledge Arena – ist links im Bild zu erkennen. Das Ausstellungsareal entwickelte sich zu einem Kulturzentrum mit verschiedenen Museen und Theatern.

Der von Ludwig Thürmer gestaltete Berlin-Pavillon; im Hintergrund verläuft die Expo-Seilbahn. (Foto Werner Lenggenhager, The Seattle Public Library Special Collections)

Für die Nachwelt ist die Century 21 Exhibition exzellent dokumentiert. Sammlungen zu ihr legten die lokale Universität, das Stadtarchiv von Seattle und die Stadtbücherei an. Hier geht es zum Ausstellungsführer. Popstar Elvis Presley beglückte seine Fans 1963 mit einem auf der Expo gedrehten Film, bei uns hieß er Ob blond, ob braun. Und zur Frage aller Fragen: Ja, auch der sieben Jahre alte Bill Gates besuchte die Weltausstellung in seiner Heimatstadt. Am meisten Spaß machte ihm aber nicht ein Computer, sondern die aus Deutschland stammende Achterbahn Wilde Maus.

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