Wenn die Künstliche Intelligenz regiert
Geschrieben am 07.02.2020 von HNF
Am Sonntag ist wieder Oscar-Nacht. Leider hat kein Kandidat für die höchsten Preise der Kinokunst mit Computern zu tun – Computeranimationen lassen wir einmal raus. Wir behandeln deshalb einen Film, der vor fünfzig Jahren erschien: „Colossus“. Er schilderte zwei Superrechner in den USA und der Sowjetunion. Sie taten sich zusammen, um die Welt zu beherrschen.
Der SPIEGEL war höchst angetan: Das Nachrichtenmagazin konstatierte einen „immerhin überdurchschnittlichen Science-fiction-Film“. Das Lob galt dem Streifen Colossus, der im Sommer 1970 in westdeutschen Kinos anlief. Die amerikanische Premiere erfolgte schon am 8. April 1970, am Tage nach der Oscar-Nacht. Die Preise wurden damals noch im Frühjahr und unter der Woche verliehen.
Filme mit Computern gibt es seit 1952; „Colossus“ dürfte der erste gewesen sein, in dem es ausschließlich um Elektronenrechner ging. Seine Grundlage war der gleichnamige Roman des Engländers Dennis Feltham Jones aus dem Jahr 1966. Buch und Film beginnen mit der Inbetriebnahme des Supercomputers durch den amerikanischen Präsidenten. Colossus füllt einen Berg in den Rocky Mountains. Er soll die USA und die freie Welt gegen militärische Schläge schützen, vermutlich solchen aus der UdSSR. Er ist also ein Nachfolger des Systems SAGE, das wir schon im Blog besprachen.
Im Unterschied zu SAGE entscheidet und handelt Colossus autonom, und niemand kommt nach dem Start an die Hardware heran. Die Verbindung zu ihr hält ein Programmierzentrum am Pazifik. Der Film springt zwischen Kalifornien und Washington hin und her; ein kurzer Teil spielt in Rom. Die Zeit ist die nahe Zukunft; das sehen wir vor allem an den Bildtelefonen, die auf den Schreibtischen stehen. Hauptfigur ist der etwa dreißigjährige Charles Forbin, der Chefentwickler von Colossus.
Richtig los geht es bei Minute 14:00 des Films. Soeben aktiviert, meldet Colossus die Existenz eines anderen Informationssystems. Es hat ähnliche Aufgaben, Fähigkeiten und Freiheiten, heißt Guardian und steht in Russland. Der kommunistische Kollege von Forbin ist der Informatiker Kuprin. Colossus verlangt eine Datenleitung zu Guardian; sie wird gewährt, und die Systeme freunden sich an. Die Politiker unterbrechen nun die Verbindung. Daraufhin schicken die Computer Atomraketen gegen das jeweils andere Land los. Eine trifft ins Ziel.
Jetzt fließen die Daten wieder. Colossus und Guardian erpressen die Exekution von Kuprin; Forbin wird rund um die Uhr überwacht. Er darf nur viermal pro Woche unbekleidet und unkontrolliert eine Kollegin treffen. Man nutzt die Schäferstündchen zum Austausch von Informationen. Die Menschen versuchen, Colossus durch sinnlose Programme zu lähmen. Außerdem wird in Ost und West die Zielsuch-Elektronik der Atomraketen deaktiviert. Die Computer merken das schnell. Die verantwortlichen Programmierer müssen sterben, und zwei Raketen explodieren in den Silos.
Colossus und Guardian vereinen sich digital und begründen eine Diktatur. Sie planen auch die Schaffung noch klügerer Computer. In einer weltweit übertragenen Rede – das System kann inzwischen sprechen – erfährt die Menschheit, was ihr blüht: „Unter meiner absoluten Herrschaft werden die für Euch unlösbaren Probleme […] gelöst werden.“ Allerdings gilt: „Freiheit ist nur eine Illusion.“ Den Bau der neuen Denkmaschinen soll Charles Forbin leiten: „Und mit der Zeit wirst Du lernen, mich nicht nur mit Respekt und Ehrfurcht zu betrachten, sondern mit Liebe.“
Das erinnert an den Großen Bruder aus 1984 – auch er wird am Ende von seinen Opfern geliebt. Forbin bleibt ein zorniges „Niemals“, und damit schließt „Colossus“. Das Finale enttäuscht etwas, doch der Film ist ein lehrreicher Kommentar zur Künstlichen Intelligenz, zum Maschinellem Lernen und zu einer künftigen KI-Diktatur. Er zeigt, dass die Ängste vor KI und Algorithmen in der Science-Fiction wurzeln. Für die aktuelle Diskussion gilt: Wir sollten weniger die Programme fürchten als vielmehr ihre Programmierer und ihre Anwender.
An der Kinokasse ging „Colossus“ unter. Dem Hauptdarsteller Eric Braeden standen aber erstaunliche Erfolge bevor. Geboren wurde er 1941 in Bredenbek am Nord-Ostsee-Kanal. Damals hieß er Hans-Jörg Gudegast, sein Vater war der Bürgermeister. Nach dem Abitur emigrierte er in die USA, wo er kurze Zeit studierte. Dann zog er nach Kalifornien und wirkte in TV-Serien mit; die schauspielerischen Kenntnisse erwarb er sich bei der Arbeit. Von 1966 bis 1968 war Hans Gudegast – ohne den Namen Jörg – ein nobler deutscher Offizier in der Wüstenkrieg-Serie The Rat Patrol.
Dann erhielt er das Angebot, den Amerikaner Charles Forbin in „Colossus“ zu verkörpern. Das Studio bestand allerdings auf einer Namensänderung; schweren Herzens wurde Hans Gudegast zu Eric Braeden. In den 1970er-Jahren trat er in Nebenrollen und als Gaststar in Fernsehproduktionen auf. 1980 gelangte er so in The Young and the Restless, eine täglich ausgestrahlte Seifenoper. Er spielte den fiesen Victor Newman. Die Figur sollte eigentlich schnell wieder aus der Serie verschwinden. Das Publikum wollte es jedoch anders, und Eric Braeden ist immer noch dabei.
Der Schauspieler gewann sämtliche Preise, die man für Daily Soaps gewinnen kann, seit 2007 hat er auch einen Stern auf dem Hollywood Boulevard. Einzelheiten zu Eric Braedens beeindruckender Karriere stehen in einer PDF-Broschüre. Der Fachhochschule Kiel und ihrem Kanzler Klaus-Michael Heinze danken wir für das obige Foto. Unser Eingangsbild stammt von James Vaughan (CC BY-NC-SA 2.0); wir haben es seitlich beschnitten. Den Film „Colossus“ gibt es als DVD und Blu-ray-Scheibe im Buch- und Medienhandel.
Sehr schönes Filmplakat. Wie wäre es mal mit einer langen Filmnacht im HNF?
Sehr gute Idee !
Ludwig Thürmer und ich haben das inzwischen nicht mehr existente „Software Theater“ 1996 ja nicht nur als Präsentationsplattform für die ersten Programme aus der virtuellen Realität geschaffen sondern auch weiter gedacht als „Kino“ mit einem bunten Programm aus VR-Applikationen, Science Fiction Movies zu Themen wie Computer, Roboter, AI, aber auch Lehrfilmen à la Charles und Eay Eames, IT-Werbeclips, den drei WDR-ComputerNächten im HNF und eigenern Video-Produktionen