Computer aus Backnang: Telefunken TR 4
Geschrieben am 13.09.2022 von HNF
In den 1960er-Jahren setzte sich die Transistortechnik endgültig durch. 1962 stellte die Firma Telefunken auf der Hannover Messe die mit Halbleitern bestückte TR 4 vor. Nach Zuse, Siemens und SEL war Telefunken der letzte westdeutsche Hersteller, der einen großen Rechner herausbrachte. Die TR 4 kostete 1962 fünf Millionen DM; es wurden wohl 25 Stück installiert.
Einst war er ein großer Name in der Nachrichtentechnik und der Unterhaltungselektronik: Telefunken. Gegründet wurde die Firma im Jahr 1903 in Berlin als Gesellschaft für drahtlose Telegraphie; sie vereinte die Aktivitäten von AEG und Siemens in diesem Feld. 1923 kam der Name „Telefunken“ hinzu. 1941 stieg Siemens aus, und Telefunken wurde zur AEG-Tochter. Nach dem Zweiten Weltkrieg eröffnete das Unternehmen neue Produktionsstätten, zum Beispiel in Backnang, Hannover, Heilbronn oder Konstanz.
Im Blog sind wir Telefunken-Produkten schon begegnet, so dem Farbfernsehsystem PAL, der mechanischen Bildplatte oder den Transistoren aus Heilbronn. Das Forschungszentrum Ulm befasste sich früh mit Datenübertragung durch Glasfaser. Telefunken widmete sich auch dem Computer. Die Freunde von elektronischen Analogrechnern wissen, dass die Firma ab den 1950er-Jahren solche Geräte in Konstanz fertigte; sie zählten zu den besten der Welt. Zwei analoge Telefunken-Modelle verwahrt das HNF im Depot.
Uns geht es aber um digitale Systeme. 1956 begann ein Team im Telefunken-Werk Backnang mit der Entwicklung eines Transistorrechners. Beteiligt waren der Ingenieur Hans-Otto Leilich und der Mathematiker Wolfgang Händler. Leilich war Jahrgang 1925; er wirkte in der TU München am Bau des Röhrencomputers PERM mit. Händler wurde 1920 in Potsdam geboren. Er arbeitete nach dem Studium in Kiel beim Rundfunk in Hamburg, wo er sicherlich Telefunken-Elektronik kennenlernte. Ein weiterer Entwickler war der junge Otto Müller.
1959 brachte Telefunken zur „Digital-Rechenanlage TR 4“ eine Broschüre heraus, die sie als „ein neuer Allzweck-Rechner besonders hoher Geschwindigkeit, großer Zuverlässigkeit und guter Anpassungsfähigkeit“ anpries. Als Einsatzfelder wurden Wissenschaft, Technik und Wirtschaft genannt. 1960 erschienen erste Fotos: sie zeigten einen Computer mit sechs Schränken und einem Pult, auf dem eine IBM-Schreibmaschine stand. In Augenschein nehmen konnte man die TR 4 auf der Hannover Messe 1962.
Die TR 4 rechnete mit Transistoren, deren Anzahl unbekannt ist. Der Computer besaß zwei Arbeitsspeicher für je 4.096 Worte zu 52 Bit; davon entfielen 48 Bit auf die betreffende Dualzahl. Die Speicher wurden mit Magnetkernen realisiert und ließen sich auf insgesamt 28.672 Worte erweitern; das entspräche 186 Kilobyte. Hinzu kamen ein Nur-Lese-Speicher mit 4.096 Worten und ein Indexspeicher für 256 Kurzworte zu sechzehn Bit. Additionen dauerten sechs bis sechzehn Mikrosekunden, Multiplikationen 30 bis 250.
Zum Computer gab es Peripheriegeräte vom Lochstreifenstanzer bis zum Schnelldrucker. In der Mitte der 1960er-Jahre lieferte Telefunken neben den vertrauten Bandlaufwerken auch Plattenspeicher und Sichtgeräte. Zur Software gehörten Assemblersprachen sowie Compiler für ALGOL, COBOL und FORTRAN. 1962 kostete eine TR-4-Anlage fünf Millionen DM, danach sank der Preis auf etwa die Hälfte ab. Die späteren Systeme hatten neun Schränke sowie ein Betriebssystem für die Plattenlaufwerke.
Telefunken baute in Backnang und Konstanz vermutlich 25 Computer. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanzierte Anlagen an vier westdeutschen Hochschulen; eine TR 4 lief im Flughafen Frankfurt, eine andere im holländischen Delft. Ein System beschaffte das Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen. Von 1988 bis 2022 war es im Deutschen Museum in München ausgestellt; es ist oben in unserem Eingangsbild zu sehen. Für den Postscheckdienst konstruierte Telefunken das Spezialmodell TR-P.
1964 stellte das Unternehmen die aus der TR 4 entwickelte Rechenanlage TR 10 vor, von der aber nur zehn Stück verkauft wurden. 1968 erschien die neue TR 440. 1972 übernahm die Telefunken Computer GmbH Produktion und Vertrieb. An ihr waren die AEG-Telefunken – die AEG hatte 1967 die alte Telefunken GmbH geschluckt – und die Nixdorf Computer AG zu 50 Prozent beteiligt. Leider brachte das den Absatz wenig voran; 1974 stieg Heinz Nixdorf wieder aus. Die Computerfertigung in Konstanz endete in den späten 1970er-Jahren.
In den frühen Siebzigern entstand dieser Film von AEG-Telefunken über die Aktivitäten des Werks Backnang. Der Förderverein Technikforum Backnang erfasst auf seiner Internetseite auch die örtliche Telefunken-Geschichte. Überdies betreibt er ein mittelgroßes Museum. Schriftliche Unterlagen zu den Telefunken-Computern liegen in der Bitsavers-Sammlung. Zum Schluss danken wir dem historischen Archiv des Deutschen Technikmuseums Berlin für das Schwarzweiß-Foto der TR 4.
Wir übersetzten »TR« immer mit »Teak-Rechner«, weil die Zentraleinheit wie eine Wohnzimmer-Schrankwand aussah. Anfangs durften wir Studenten nur den Kartenlocher (IBM 029), den Kartenleser und den Schnelldrucker anfassen, dann die Magnetbandstation und im letzten Studienjahr durften wir schließlich die Operator-Konsole übernehmen. Das Handbuch war am Pult angekettet, sodass wir uns eigene Exzerpte machten, die ich immer noch besitze.
Wir durften als Schüler in Konstanz nur den IBM-Kartenstanzer bedienen und die Programme und Datenkarten dann brav in unseren uns zugewiesenen Fächern ablegen :-(, in der Hoffnung, dass das Übersetzen und Ausführen auch tatsächlich lief, was wir frühestens nach der Nachtverarbeitung erfuhren – aber immerhin.
An der Konstanzer Uni gab es zu jenem Zeitpunkt bereits den/die TR 440, womit wir in der Uni-Bibliothek Bücher suchen und finden konnten. Das war eine tolle Zeit, und ein Photo von der TR 4 benutze ich heute noch als Hintergrund für meine Video-Konferenzen.
Danke für den schönen Beitrag!
Wolfgang
Ja genau so war es auch an der Uni Würzburg. Wer allerdings sich mit dem Operator gut verstand durfte spätabends mit an die RJE Station (wie hieß die bei Telefunken?) und die Lochkarten direkt einlesen und den Job starten (deutschsprachige Kommandos!). So entstand das Programm für meine Diplomarbeit.