Das kurze Leben des Dudley Buck

Geschrieben am 21.05.2019 von

Am 21. Mai 1959 starb in einem Krankenhaus nahe Boston der Ingenieur Dudley Buck. Er war 32 Jahre alt. Der Dozent des Massachusetts Institute of Technology hatte ein neues Schaltelement erfunden, das Kryotron. Es funktionierte nur bei tiefsten Temperaturen, galt aber als Revolution der Computertechnik. Neben seiner Forschung arbeitete Buck als Berater für diverse Geheimdienste.  

In den 1950er-Jahren hatte in Amerika die Zukunft begonnen. Düsenjets, Raketen, Atomkraft, 3D-Filme und Farbfernseher kündeten von Innovation und Fortschritt. Am fortschrittlichsten waren die Computer, damals oft Elektronengehirne genannt. Immer neue Verbesserungen fielen den Wissenschaftlern und Ingenieuren ein, sowohl denen in den Herstellerfirmen als auch ihren Kollegen in den technischen Hochschulen.

Dudley Buck war einer von ihnen. 1956 zeigte ihn die Illustrierte LIFE im Massachusetts Institute of Technology MIT in Boston. Der junge Forscher füllte eine ganze Seite und strahlte den Look of the Future aus. Die eine Hand hielt eine Elektronenröhre, in der anderen sehen wir seine Erfindung, das Kryotron. LIFE teilte mit, dass das winzige elektronische Bauteil zu einem Computer führen könnte, der nur einen Kubikfuß Raum einnimmt, also einen Würfel mit 30,48 Zentimetern Kantenlänge.

Dudley Buck stammte aus Kalifornien. Geboren wurde er am 25. April 1927 in San Francisco; der Vater war Postbeamter. Seine Teenagerzeit verbrachte er bei einer Großmutter in Santa Barbara. Hier konnte er seine Begeisterung für das Basteln ausleben und verdiente Geld mit Verstärkeranlagen für Tanzabende und Konzerte. Außerdem erlernte er das Amateurfunken. Ab 1944 studierte Buck in einem Programm der US-Marine Elektrotechnik in Seattle; 1947 machte er den Bachelor-Abschluss.

Dechiffrier-Computer Atlas, einer der ersten Elektonenrechner der USA.

Von 1947 bis 1950 diente Dudley Buck als Soldat beim Marine-Geheimdienst in Washington. Dort kam er mit Leuten der neu gründeten Computerfirma ERA zusammen; sie saß in St. Paul im Bundesstaat Minnesota und wurde später zu Control Data. Für  den Geheimdienst schuf ERA den Großrechner Atlas zum Entschlüsseln von Nachrichten. Er wurde 1950 fertig. Vorher aber baute Buck mit einigen Kollegen den Relaiscomputer ABEL; an ihm konnten die Atlas-Programmierer schon einmal üben.

Im Frühjahr 1950 flog er nach Europa und traf – der Grund ist nicht überliefert – den späteren BND-Chef Reinhard Gehlen. Der spionierte zu jener Zeit noch für die CIA. Danach hatte Buck seinen Militärdienst absolviert; ab dem 3. Juli 1950 war er wissenschaftliche Hilfskraft im MIT. Er arbeitete zunächst für den Computerpionier Jay Forrester und in dessen Whirlwind-Projekt. Der gleichnamige Computer enthielt neuartige Datenspeicher mit magnetisierbaren Ringen. Über dieses Thema schrieb Buck 1952 seine Masterarbeit.

Neben der Forschung beriet Dudley Buck die Geheimdienste. Spuren davon finden sich im Nachlass und im Internet. So nahm Buck 1952 an einer exklusiven Konferenz des MIT zur maschinellen Sprachübersetzung teil. Ein CIA-Papier von 1953 zeigt, dass er Kontakt zur sowjetischen Handelsorganisation Amtorg hielt; offenbar wollte er die Sowjetunion besuchen. Ein anderes Dokument jener Jahre nennt ihn als informellen Mitarbeiter der Krypto-Agentur NSA. Trotz seines Doppellebens fand er noch Zeit, zu heiraten und eine Familie zu gründen.

Eine zwölf Zentimeter lange Kryotron-Platine der amerikanischen Firma RCA aus den 1950er-Jahren. (Foto Computer History Museum)

Im Februar 1954 gelang ihm die Erfindung, die ihn berühmt machte: das Kryotron. Es ist nur ein Leiter mit einem Draht drumherum, siehe die Patentzeichnung im Eingangsbild. Taucht man den Leiter in flüssiges Helium, wird es spannend. Besteht er etwa aus dem Metall Tantal, verliert er seinen elektrischen Widerstand, er wird supraleitend. Das bewirkt die Temperatur des Heliums, die knapp über dem absoluten Nullpunkt von -273,15 Grad liegt. Wenn nun ein Strom durch die Wicklung fließt und ein Magnetfeld im Leiter induziert, verschwindet die Supraleitung wieder.

Der physikalische Effekt lässt sich für eine elektrische Schaltung nutzen. Bucks Erfindung erregte das Interesse von Computerfirmen und der Unternehmensberatung Arthur D. Little; letztere war ein Nachbar des MIT. Attraktiv machte das Kryotron vor allem die Aussicht auf miniaturisierte Stromkreise. 1954 lief in den USA schon der Transistorrechner TRADIC; er war aber so groß wie ein Kleiderschrank. Ein Kryotron-Computer, so nahmen Experten an, würde dagegen in eine Raketenspitze passen und einen treffsicheren Angriff ermöglichen.

Einige Jahre lang galt das Kryotron als das Schaltelement der Zukunft. In den späten Fünfzigern stellte sich im Kalten Krieg der Supermächte ein kurzes Tauwetter ein. Im April 1959 durften sowjetische Computerexperten die USA bereisen. Zu ihren Zielen zählte auch das Labor von Dudley Buck im Hauptgebäude des MIT. Der Forscher – inzwischen hatte Buck den Doktor gemacht – sah sich aber außerstande, seine Erfindung vorzuführen. Die Gruppe aus der UdSSR zog enttäuscht wieder ab.

Eine integrierte Schaltung mit Kryotronen, von RCA 1965 entwickelt. Sie ist knapp sieben Zentimeter breit. (Foto Computer History Museum)

In jenem Frühjahr beschäftigte sich Buck intensiv mit dünnen Schichten von Materialien. Sein Laborbuch vom 18. Mai 1959 verzeichnete ein Experiment mit dem hochgiftigen Gas Bortrichlorid. Am Abend des Tages fühlte er sich unwohl, in der Nacht bekam er Fieber und konnte sich nicht mehr bewegen. Er wurde ins Krankenhaus von Winchester eingeliefert, einem Nachbarort von Boston. Die Ärzte sparten nicht mit Antibiotika, doch sein Zustand verschlechterte sich immer mehr. Am Morgen des 21. Mai 1959 war Dudley Buck tot.

Die Todesursache blieb ungeklärt. Der Historiker David Brock nahm einen unvorsichtigen Umgang mit Chemikalien an; Bucks Biographen, darunter sein Sohn Douglas, neigten zu einem Giftanschlag des sowjetischen Geheimdienstes KGB. Das Kryotron wurde noch eine Zeitlang von der Industrie bearbeitet, es kam jedoch kein Computer auf den Markt. IBM erforschte von 1964 bis 1983 eine andere ultrakalte Technik, die den Josephson-Effekt nutzte. In jüngster Zeit erhielt das Thema durch Quantencomputer neue Impulse.

Supraleitung ist also, man verzeihe den Kalauer, immer noch cool. Von Dudley Buck sind seine Schriften und Patente und einige Fotografien erhalten. Mit diesem Bild aus dem MIT-Museum – bitte selbst den Link aufrufen – möchten wir seinen viel zu kurzen Lebenslauf abschließen, der vor sechzig Jahren so tragisch endete.

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