Die Superrechner der Sechziger

Geschrieben am 19.03.2019 von

Der Begriff des Supercomputers existierte in den 1960er-Jahren noch nicht. Es gab aber eine Firma, deren Rechner bei der Leistung alle anderen hinter sich ließen: die Control Data Corporation im amerikanischen St. Paul. Ihr erster Hochleistungsrechner war 1964 das Modell CDC 6600. Vor fünfzig Jahren wurde das System CDC 7600 an die Kunden geliefert.

Wir befinden uns im Jahr 1969. Der gesamte Großrechnermarkt wird von der IBM beherrscht… Der ganze Markt? Nein! Ein von unbeugsamen Ingenieuren betriebenes Labor hört nicht auf, dem IT-Riesen Widerstand zu leisten. Und der Konkurrenzkampf ist nicht leicht für die selbstbewussten Entwickler von Big Blue.

So könnte man im Stil eines bekannten Comics das globale Computergeschäft der 1960er-Jahre beschreiben. 1964 kündigte IBM die Rechnerfamilie 360 an; 1965 kam sie heraus und setzte sich bei den Mainframes schnell an die Spitze. Die Konkurrenz hatte das Nachsehen. Spötter sprachen von der IBM und den sieben Zwergen, den Firmen Burroughs, UNIVAC, NCR, Control Data, Honeywell, GE und RCA. In den Siebzigern waren es nur noch fünf; nach ihren Initialen wurden sie BUNCH oder Bande genannt.

Seymour Cray, der Vater des Supercomputers.

Ein Zwerg ließ sich aber nicht unterkriegen. Das war die Control Data Corporation, gegründet 1957 in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota. In den frühen Sechzigern zog sie in die Nachbarstadt St. Paul. Sie baute zunächst Peripheriegeräte, vor allem Trommelspeicher. Das änderte sich 1958, als sich der 1925 geborene Seymour Cray der Firma anschloss. 1960 war der von ihm entwickelte Transistorcomputer CDC 1604 fertig. In unserem Foto sehen wir den Ingenieur vor dieser Maschine sitzen.

Cray wirkte an der nachfolgenden CDC-3000-Serie mit, doch er wollte mehr: den schnellsten Computer der Welt bauen. Control-Data-Chef William Norris ließ ihn gewähren. 1962 richtete sich Cray in seinem Geburtsort Chippewa Falls – das liegt östlich von St. Paul in Minnesota – ein Entwicklungslabor ein; 1963 wurde die CDC 6600 angekündigt. Die versprochene Leistung stellte alle anderen Rechner in den Schatten und veranlasste IBM-Chef Thomas Watson jun. zu einem bissigen Rundbrief, dem Hausmeister-Memorandum.

Die CDC 6600 des Forschungszentrums CERN war 1965 der erste Computer dieses Typs in Europa. (Foto CERN)

1964 war die CDC 6600 fertig; sie kostete sieben Millionen Dollar. Die Zentraleinheit belegte vier Schränke in kreuzförmiger Anordnung. Im Inneren steckten 400.000 Transistoren. Jeder Schrank enthielt ein eigenes Kühlsystem. Dazu kamen die externen Speicher und das Bedienpult. Neben dem Hauptprozessor verfügte der Computer über zehn spezialisierte Recheneinheiten, die auch Parallelverarbeitung erlaubten. Die CDC 6600 benutzte Worte zu 60 Bit; der Arbeitsspeicher betrug nach heutiger Zählweise ein Megabyte.

In der Sekunde erledigte der Computer drei Millionen Fließkomma-Operationen; damit war er dreimal schneller als der schnellste IBM-Rechner. Bis 1977 verkaufte Control Data rund hundert Exemplare der CDC 6600. Es wären noch mehr gewesen, hätte IBM nicht einen schlauen Trick angewandt. Man kündigte 1964 einen besseren Rechner als die CDC 6600 an; das hielt so manchen Interessenten vom Kauf ab. Das Hochleistungsmodell IBM 360/91 wurde erst 1967 ausgeliefert, doch nur elf Rechner fanden einen Abnehmer.

Die CDC 7600 des Lawrence-Livermore-Labors mit der typischen „O“-Struktur; sie wurde ab März 1969 installiert.  (Foto Computer History Museum)

Im Dezember 1968 hatte Control Data genug und verklagte den trickreichen Konkurrenten. Der Prozess zog sich über Jahre hin; Anfang 1973 einigte man sich außergerichtlich. Control Data erwarb eine Tochterfirma von IBM zu einem Schnäppchenpreis; außerdem versprach Big Blue, Leistungen im Wert von 60 Millionen Dollar abzunehmen. Im Gegenzug vernichtete Control Data alle belastenden Dokumente, die zuvor gesammelt worden waren. Unterm Strich bedeutete die Regelung einen großen Sieg für die Firma aus St. Paul.

Im März 1969 brachte Control Data den Nachfolger des Modells 6600 heraus. Die CDC 7600 war nicht mehr kreuzförmig, sondern besaß den Grundriss eines offenen O. Sie enthielt integrierte Schaltungen statt einzelner Transistoren. Die Taktrate stieg von zehn auf 36,4 Megahertz. Die Zahl der Fließkomma-Operationen erhöhte sich von drei auf 36 Millionen pro Sekunde. Bis 1975 war die CDC 7600 der schnellste Computer der Welt. Er war billiger, aber nicht so betriebssicher wie der Vorläufer, so dass Control Data weniger Systeme verkaufte.

In den 1980er-Jahren entstand der Supercomputer Cray-2; ein Exemplar ist im HNF zu sehen. Für den Rechner übernahm Seymour Cray einige Konzepte aus der nie realisierten CDC 8600. (Foto: Jan Braun, HNF)

Seymour Cray ging 1968 den noch schnelleren Rechner CDC 8600 an; seine Anstrengungen führten aber in eine Sackgasse. 1972 machte er sich in Chippewa Falls selbstständig. Fotos zeigen, dass die CDC 8600 den runden Aufbau der Cray-1 erhalten sollte, mit der Cray die Gattung des Supercomputers schuf.  Der letzte Control-Data-Rechner erschien 1989; danach zerfiel die Firma. Seymour Cray legte 1980 die Leitung seines Unternehmens Cray Research nieder, blieb aber als technischer Berater tätig. Er starb 1995 nach einem Autounfall.

Unser Eingangsbild oben zeigt eine CDC 6400, die ab 1966 in der RWTH Aachen lief (Foto Bundesarchiv, B 145 Bild-F031433-0011/Gathmann, Jens/ CC BY-SA 3.0 – das Bild wurde oben und unten beschnitten). Der Rechner war eine in der Leistung reduzierte Version der CDC 6600 und deshalb auch billiger. Den Tisch mit den zwei Monitoren gibt es noch; auf verschlungenen Wegen gelangte er vor zwölf Jahren zurück nach Amerika in das Depot des Computer History Museums im kalifornischen Mountain View.

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Ein Kommentar auf “Die Superrechner der Sechziger”

  1. Ray sagt:

    Diese Abwehrstrategie der IBM nannte man FUD: fear, uncertainty and doubt.

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