Der Weg zum Bildschirmtext

Geschrieben am 01.09.2023 von

Vor vierzig Jahren, am 2. September 1983, ging Deutschland online. An jenem Tag startete Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling den Bildschirmtext, auch bekannt als Btx. Er verband Fernseher draußen im Lande per Telefon mit einem zentralen Computer und schuf auf diese Weise ein großflächiges Datennetz. Btx war eine englische Erfindung; wir haben uns einmal ihre Entstehungsgeschichte angeschaut.

Jede Technik hat ihre Vor- und Frühgeschichte, und das gilt auch für den Bildschirmtext, kurz Btx. Die Verbindung von Fernsehen, Telefon und Computer wurde vor vierzig Jahren auf der Berliner Funkausstellung gestartet, wir schilderten es in unserem Blog. Heute geht es um die Zeit davor. Wer hat den Bildschirmtext überhaupt erfunden, und wie wurde er zu dem Medium, das dann jahrelang die Gemüter bewegte?

Die ersten Btx-artigen Ideen verlieren sich im Dunkel der Technikgeschichte, bekannt sind aber zwei Visionen aus den 1960er-Jahren. 1966 skizzierte Karl Steinbuch in seinem Buch „Die informierte Gesellschaft“ einen Lehrautomaten LA, den man per Telefon anwählt. Er schickt Programme an Anschlusseinheiten, die sie auf Band speichern. Die Einheiten sind mit Terminals verbunden, an denen die Schüler sitzen, die belehrt werden sollen. Zitat: „Die Gebührenerfassung wäre Angelegenheit der Post, die den LA betreibt und die Gebühren in ähnlicher Weise verrechnet wie im Fernwahlbetrieb heute.“

Im Jahr 1969 meldeten die Siemens-Mitarbeiter Reinhard Lueder und Walter Flohrer – er ging später zur Firma SEL – eine „Schaltungsanordnung zum Übertragen von Fernsehbildern mit Datencharakter mit Mitteln der Fernsehtelefonie“ zum Patent an. Es wurde nicht gewährt, ihre Erfindung könnte aber die erste gewesen sein, die in Richtung Btx wies. Flohrer und zwei SEL-Kollegen erhielten 1980 ein Patent für ein 1978 angemeldetes Auskunftssystem; es arbeitete mit Münzfernsprechern, die ein Display trugen. Zu diesem Zeitpunkt existierte aber schon ein vergleichbares und funktionsfähiges Medium.

Grafik aus dem amerikanischen Viewdata-Patent 4.873.662 – „Display“ ist der Fernseher.

Sein Erfinder war Samuel Fedida, der 1918 im ägyptischen Alexandria geboren wurde. Über die nächste Zeit wissen wir wenig, doch in den 1960er-Jahren arbeitete Fedida in der Firma English Electric. 1970 saß er im Forschungszentrum der englischen Post im Norden Londons. Dort beschäftigte er sich mit der sinnvollen Nutzung von Bildtelefonen. 1972 hatte er eine Anlage aufgebaut, der er den Namen Viewdata gab. Ihre Technik ähnelte dem gleichfalls in der Entwicklung befindlichen Videotext, der 1974 in England als Ceefax startete.

Die Postforscher lösten sich dann von der Idee, Daten durch die Austastlücke des TV-Bilds zu schicken. Stattdessen schufen sie ein System, bei dem man mit dem Telefon und einigen Zusatzgeräten einen Viewdata-Rechner anspricht. Aus dem Jahr 1975 ist dazu ein BBC-Film überliefert. Samuel Fedida stellte sein Konzept auch auf einer Tagung in London vor; wer sich im Internet Archive anmeldet, kann den Vortrag nachlesen. Zur Viewdata-Bedienung gab es eine Tastatur mit Ziffern, einen „Alphapad“ mit Buchstaben und schon ein kleines Terminal, das Viewdataphone.

Fedida zeigte das System im Forschungsinstitut der Bundespost in Darmstadt. Ab 1976 entstand hier eine deutsche Ausgabe, eben der Bildschirmtext. Am 27. August 1977 stellte Postminister Kurt Gscheidle das neue Medium auf der Funkausstellung in Berlin vor, hier ist es ab Minute 2:40 im Video zu sehen. Die IFA präsentierte damals zum ersten Mal im größeren Stil die Online-Zukunft. Ihre Besucher erlebten neben Btx den Videotext, das französische Videotext-Äquivalent Antiope und die kurzlebige Bildschirmzeitung.

Das Prestel-Terminal des englischen Unterhauses (Foto Science Museum Group CC BY-SA 4.0 seitlich beschnitten)

Im September 1979 nahm der englische Bildschirmtext den Dienst auf. Er hieß nicht mehr Viewdata, sondern „Press telephone“, kurz Prestel. 1978 sendete die BBC einen Vorbericht, in dem wir bei Minute 2:30 den sechzig Jahre alten Samuel Fedida treffen. Sein Buch zur Viewdata-Prestel-Technik kann man nach Anmelden im Internet Archive lesen. Ein Jahr nach dem Prestel-Start brachte das Magazin New Scientist eine kritische Bestandsaufnahme. Der Artikel teilte unter anderem mit, dass im Lande erst 6.000 Prestel-Geräte liefen.

Im Juni 1982 waren es 18.000; monatlich kamen 500 Anschlüsse hinzu. Der neue deutsche Postminister Christian Schwarz-Schilling ließ sich aber durch solche Zahlen nicht schrecken und eröffnete am 2. September 1983 den hiesigen Bildschirmtext. Er fand wenig Freunde. 1995 ging er im Internet auf; die Kundenzahl lag damals bei 850.000. Der Prestel-Dienst wurde 1994 von der inzwischen privatisierten British Telecom verkauft; er erreichte maximal 90.000 Abonnenten. Samuel Fedida lebte schon im Ruhestand; er starb 2007.

Durch einen historischen Zufall startete Btx genau 150 Jahre nach Vollendung einer anderen Datenstrecke. Am 2. September 1833 erreichte der preußische optische Telegraf von Berlin kommend die Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz. Er endete auf dem Koblenzer Schloss. Wie dem Bildschirmtext war der Technologie nur eine kurze Lebensdauer beschieden; ab den 1840er-Jahren eroberte die elektrische Telegrafie die Welt. Unser Eingangsbild oben zeigt aber das Btx-Terminal MultiTel-D des Herstellers Loewe aus dem Jahr 1992.

Der optische Telegraf der Festung Ehrenbreitstein nach einem Gemälde von Anton Witthoff

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