Der Wirbelwind der Informatik

Geschrieben am 09.08.2024 von

Das erste Elektronengehirn war der ENIAC, der 1946 in Philadelphia in Dienst gestellt wurde. Danach entstand im Massachusetts Institute of Technology der Rechner Whirlwind, dessen Entwicklung Jay Forrester leitete. Der Wirbelwind besaß 7.850 Röhren und war das größte Computerprojekt in Amerika. Er ging 1951 in Betrieb; am 9. August 1949 erledigte er das erste Programm.

„Ein wichtiger Meilenstein wurde am 9. August passiert, als der Computer Whirlwind I mit zentraler Steuerung, Test-Speicher und arithmetischem Element das erste Programm ausführte. Einige Tage später wurden fünf Register mit Flip-Flop-Speichern hinzugefügt, und es lief erfolgreich ein Programm, das die 32 verfügbaren Speicher-Register nutzte… Das Programm befand sich mehrere Tage lang in der Maschine, und es lief mehrmals ohne Fehler über eine Zeitspanne von 45 Minuten .“

Das teilte am 19. August 1949 der alle zwei Wochen erscheinende Newsletter des Projekts Whirlwind mit. Es widmete sich dem Bau des gleichnamigen Rechners im amerikanischen Cambridge und wurde vom Massachusetts Institute of Technology organisiert. Die Adresse des Projekts war ein Altbau etwa zehn Gehminuten vom MIT-Hauptgebäude entfernt an der Massachusetts Avenue 211. Der Computer, gelegentlich auch Whirlwind I genannt, wuchs im Obergeschoss des Hauses heran.

Der Projektleiter hieß Jay Forrester, wir haben ihn im Blog bereits kennengelernt. Geboren 1914 im ländlichen Nebraska, studierte er Elektrotechnik in seinem Heimatstaat. Nach dem Bachelor ging er ans MIT. Dort arbeitete er ab 1939 im Bereich Servo- und Regeltechnik, später saß er im Digitalcomputer-Labor. Ende 1944 befasste er sich mit einem neuen Typ von Flugsimulator, der mit einem Analogrechner verbunden werden sollte. Forrester erkannte bald, dass er sich, wenn überhaupt, nur mit digitaler Elektronik realisieren ließ.

Whirlwind-Teile im Computer History Museum in Kaliformien (Foto vonguard CC BY-SA 2.0 seitlich beschnitten)

So begann die Entwicklung eines Elektronenrechners, der Tausende von Röhren erhielt und 116 Regale auf zweihundert Quadratmetern füllte. Das Geld kam zuerst vom Forschungsamt der US-Marine und danach von der Luftwaffe; insgesamt soll der Bau des Whirlwind acht Millionen Dollar verschlungen haben. Den vielleicht ersten Bericht zum Computer trug Jay Forrester im September 1949 in Cambridge auf einer Tagung vor – bitte zu PDF-Seite 82 gehen. Zwei Seiten weiter finden wir auch schon ein Foto mit Regalen.

Einen Monat zuvor führte der Rechner wie geschildert das erste Programm aus. Es handelte sich um einen Test der Flipflop-Schaltungen, aus denen die Register bestanden. Im Januar 1952 erschien ein populär gehaltener Artikel in der Zeitschrift des Forschungsamts. Das Bild mit der Technikerin oder Ingenieurin Ramona Ferenz – über die wir leider nichts wissen – lässt sich hier weiter vergrößern. Links steht im Nadelstreifenanzug Jay Forrester und hinter ihm sein wichtigster Mitarbeiter Robert Everett.

Im April 1951 ging Whirlwind in Dienst, eine Feier gab es offenbar nicht. Am 16. Dezember 1951 trat Jay Forrester aber in der Sendung See It Now des Fernsehjournalisten Edward Murrow auf. Der Whirlwind-Teil beginnt bei Minute 0:40, er wurde dem Stand der Technik gemäß live ausgestrahlt. Neben Forrester und Murrow sehen wir den Forschungsdirektor der US-Marine, Admiral Calvin Bolster. Für ihn hatte Forrester die Darstellung eines Raketenflugs vorbereitet. Sie erschien auf dem Oszilloskop des Rechners und ist die wahrscheinlich älteste erhaltene Computeranimation.

Whirlwind-Kernspeicher – der Kasten mit den Drähten – im Technikmuseum von Waltham in Massachusetts

Ein Buch von 1957 – bitte Seite 368 aufsuchen – bringt Einzelheiten zum voll ausgebauten Whirlwind. Er besaß seit 1953 den von Jay Forrester erdachten Magnetkernspeicher, zuvor verwendete er Kathodenstrahlröhren für die Daten. Im Gerät steckten 7.850 Röhren und 14.000 Kristalldioden, die Ringkerne fassten 6.144 Datenworte zu 16 Bit. Das machte 98.304 Bit oder gut zwölf Kilobyte in heutiger Schreibweise. Dazu kamen zwei Magnettrommeln und fünf Bandlaufwerke. Der Whirlwind war ein Parallelrechner; eine mathematische Operation dauerte zwischen acht (Addition) und 57 Mikrosekunden (Division).

Die Eingabe geschah per Lochstreifen und Magnetband, der Output nutzte ebenfalls diese Bänder sowie Fernschreiber und Oszilloskope. Eine Besonderheit war die Fähigkeit, Daten in Echtzeit zu verarbeiten. Das ermöglichte den Einsatz des Computers mit Radargeräten, die Flugzeuge verfolgten. Der Whirlwind führte zum milliardenteuren Luftverteidigungssystem SAGE, in den 1950er-Jahren erledigte er aber ebenso friedliche Aufgaben. Hier geht es zu Newslettern, die dazu mehr sagen. Am 29. Mai 1959 wurde der Wirbelwind abgeschaltet.

Er zog danach um und arbeitete bis 1971 für eine Firma in Boston. Ab 1979 konnte man Whirlwind-Teile in der Sammlung der Digital Equipment Coroporation besichtigen und von 1984 bis 1999 im Bostoner Computermuseum. Unser Eingangsbild wurde im Jahr 2010 im benachbarten Wissenschaftsmuseum aufgenommen. Heute stehen Module in Kalifornien und in Massachusetts. Dokumente zum Rechner sind im Netz, vor allem bei den Bitsavers und auf der Seite des MIT. Wir empfehlen außerdem dieses Buch von 1975 und last not least den Whirlwind-Farbfilm von 1954.

Der Paderborner Elektroniker und IT-Historiker Rainer Glaschick schuf eine Simulation des Whirlwind-Displays: das Foto zeigt den Weg eines springenden Balls.

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2 Kommentare auf “Der Wirbelwind der Informatik”

  1. Karl Jaeger sagt:

    ca. 1990 war ich im Bostoner Computermuseum und konnte ein ganz ähnliches System bei einer Live Vorführung beobachten. Details die mir in Erinnerung sind. „Dieses Modell wurde von 195x über 30 Jahre lang von der Nato? zur Luftraumüberwachung (Radardaten) engesetzt“. Die beiden Trommelspeicher verfügten über je 32KB Kapazität. Hauptspeicher aus schnell tauschbaren Röhrenbänken je 8 Röhren aufgebaut. Das Ganze voll redundant als Doppelsystem ausgelegt mit deutlich sichtbarem Haupschalter in der Mitte zum manuellen Umschalten zwischen „Operation“ und „Maintenance“. Das System wurde als IBM System/3 bezeichnet. Wer erinnert sich?

  2. Stu Savory sagt:

    Colossus (BP) war vorher da, aber kein Allzweckrechner, sondern diente nur Korrelationen zu rechnen um Enigma zu knacken,

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