Ein Oscar für die Denkmaschine
Geschrieben am 10.03.2023 von HNF
Es ist wieder so weit: Am Sonntag werden in Los Angeles die Oscars verliehen. Wir steigen deshalb in die Filmgeschichte ein und suchen die Streifen heraus, die sich dem aktuellen Top-Thema der Informatik widmeten, der Künstlichen Intelligenz. Die meisten von ihnen kamen aus den USA, doch einer entstand in Frankreich und ein anderer in Deutschland.
Eigentlich deutete alles auf einen Erfolg. Der Produzent war das berühmte Hollywood-Studio MGM, und die Produktion enthielt drei populäre Science-Fiction-Elemente: einen Roboter, eine Rakete und einen unsichtbaren Menschen. Doch leider wurde The Invisible Boy aus dem Jahr 1957 zu einem der schlechtesten Zukunftsfilme aller Zeiten.
„SOS Raumschiff“ – so hieß der Streifen bei uns – ist dennoch bemerkenswert. Er war der erste Film mit einem schlauen Computer. Vielleicht wusste Drehbuchautor Cyril Hume von der Künstlichen Intelligenz, die 1956 bei einer Tagung im amerikanischen Dartmouth College ihre Karriere begann. Einen kleinen Eindruck von dem blinkenden und denkenden Gerät vermittelt der Trailer. Die „berserk electronic brain machine“ leitet unseren Rückblick auf die Beiträge ein, die das Kino zur KI leistete. Anlass ist die Oscar-Verleihung am 12. März.
Keinen Oscar, aber einen Goldenen Bären erntete Lemmy Caution gegen Alpha 60. Der französische Streifen gewann 1965 den Hauptpreis der Berliner Filmfestspiele. Regisseur Jean-Luc Godard drehte unter anderem beim Computerhersteller Bull, und der allmächtige Alpha 60 könnte durch das Modell Gamma 60 inspiriert sein. Bei der Darstellung des intelligenten Großrechners griff Godard auf bewegte Mikrofone und eine elektronische Sprechhilfe zurück, die Menschen nach der Entfernung des Kehlkopfs verwenden.
Das Jahr 1968 brachte einen Klassiker des Science-Fiction-Films und mit ihm einen ebenso klassischen KI-Computer: 2001: Odyssee im Weltraum und HAL 9000. Weniger schön waren HALs Morde, doch er entging seiner Strafe nicht. In der Fortsetzung „2010“ von 1984 wurde er wieder hochgefahren. „2001“ erhielt den Oscar für die besten Spezialeffekte. Leer ging „Colossus“ aus. Die 1970 erschienene Produktion über einen machthungrigen Megarechner würdigten wir schon ausführlich im Blog.
Wir überspringen die denkende Bombe aus Dark Star (1974) und den bösen Proteus aus Demon Seed (1977), der mehr ein Roboter- als ein Computerfilm war, und kommen zu Schwarz und weiß wie Tage und Nächte. Der Film wurde am 13. September 1978 vom WDR ausgestrahlt, später lief er im Kino, heute ist er auf YouTube zu finden. Er schildert die Karriere des Thomas Rosenmund, den Bruno Ganz verkörperte. Rosenmund hat als Junge überragende Fähigkeiten im Schach, aber er kann nicht verlieren. Er gibt das Spielen auf; als Erwachsener entwickelt er ein Schachprogramm.
Rosenmund tritt damit gegen den amtierenden Weltmeister an und geht unter. Er vergisst sofort das digitale Spiel, erringt den WM-Titel auf analoge Weise und endet im Irrenhaus. Dabei bewiesen die WDR-Autoren visionäre Fähigkeiten. Kurz nach Ende der Dreharbeiten kämpfte der schottische Großmeister David Levy ein amerikanisches Schachprogramm nieder. Andererseits hatten sie wenig Ahnung von tatsächlicher Forschungsarbeit. Regisseur Wolfgang Petersen erhielt für sein Werk einen Preis vom Fernsehfestival Monte-Carlo.
In den 1980er-Jahren registrierte Hollywood die Mikrorechner; wir beschrieben schon die WarGames von 1983. Der mit Künstlicher Intelligenz versehene Kriegscomputer WOPR, ausgesprochen „Whopper“, war etwas größer und blinkte wie das Elektronengehirn im „Invisible Boy“. Am Ende wandte er die Technik des Maschinellen Lernens an und ließ die Welt unzerstört. Sein Vorschlag an seinen menschlichen Schöpfer lautet übersetzt: „Wie wäre es mit einer kleinen Partie Schach?“. An Preisen gewann „WarGames“ den British Academy Film Award in der Kategorie Bester Ton.
1984 starteten die Electric Dreams. Jetzt wurde auch ein Mikrocomputer intelligent und gesprächig, als sein Besitzer die brennenden Schaltkreise mit Champagner löschte. Ein Juwel ist die Szene, in der der Rechner und eine junge Cellistin – in die sich der Computer verliebt – gemeinsam Musik machen. Der Sound stammte von Giorgio Moroder, der sich auf eine Melodie des sächsischen Komponisten Christian Petzold (1677-1733) stützte. Die elektrischen Träume floppten an der Kinokasse, doch sie blieben auf YouTube erhalten.
Wir schließen mit zwei Filmen von 2013. Computer Chess erlebte die Premiere im Januar des Jahres; er führt etwa ins Jahr 1980 und in ein Hotel, in dem Schachprogrammierer und eine einsame Programmiererin um einen Preis kämpfen. Im gleichen Hotel trifft sich auch eine Selbsterfahrungsgruppe, was dann zu allerlei Verwicklungen führt. Regisseur Andrew Bujalski arbeitete mit Profis und mit Laienschauspielern und verzichtete auf ein normales Skript; gedreht wurde meist mit einer antiken Videokamera und in schwarzweiß. Wir sehen viel historische Hardware; Einzelheiten liefert die Homepage des Films.
Im Oktober 2013 wurde in New York Her uraufgeführt. Der Film von Spike Jonze zeigt eine nahe Zukunft, erkennbar an einem holografischen Computerspiel, und das Schicksal von Theodore Twombly, den Joaquin Phoenix darstellte. Er kauft für sein Smartphone und den Heimrechner ein Betriebssystem mit Sprachassistentin; dahinter steckte die Schauspielerin Scarlett Johansson. Theodore und Samantha – so heißt die Assistentin – verlieben sich natürlich ineinander. Am Ende zieht sich Samantha wieder zurück, und Theodore beginnt mit einer echten Frau ein neues Leben.
„Her“ gewann den Oscar für das beste Original-Drehbuch; zehn Jahre nach der Premiere ist der Film immer noch sehenswert. Denn inzwischen bescherte uns die Informatik Stimmen wie Siri und Sprachsysteme wie GPT, ChatGPT und LaMDA. Theodore Twomblys Welt ist plötzlich sehr nahe gerückt. Die Debatten um die KI legten auch einen Drehbuchfehler von „Her“ frei. Im Film sind die virtuellen Begleiter nur wenigen Leuten bekannt. In Wirklichkeit würde eine Software dieser Qualität und Intelligenz ein ungeheures Aufsehen erregen.
Es sei noch angemerkt, dass wir ganz bewusst Roboter, Androiden und Cyborgs wegließen und ebenso TV-Filme zum Thema Künstliche Intelligenz. Hinweisen möchten wir nur auf die „Tatort“-Folge HAL, die eine KI und viele Zitate aus „2001“ brachte. Wir entschuldigen uns bei allen, deren Lieblingsfilme wir vergaßen, und wünschen eine schöne Oscar-Nacht. Unser Eingangsbild stammt aus dem Film „Computer Chess“ (Foto Courtesy Computer Chess LLC).