Funkausstellung mit Bildschirmtext
Geschrieben am 31.08.2018 von HNF
Die Fortsetzung unseres IFA-Rückblicks führt ins Jahr 1983 und zur 34. Berliner Schau. Am 2. September startete Postminister Christian Schwarz-Schilling den bundesweiten Bildschirmtext, kurz Btx. Er kombinierte Fernsehen, Computer und Telefon und war so etwas wie ein deutsches Internet. Von Skandalen geplagt, entwickelte sich das neue System aber zu einem der größten Technikflops der Nachkriegszeit.
Der Sommer 1983 war heiß und eindrucksvoll oder um den SPIEGEL zu zitieren: „Es war, als habe jemand die Republik, die komplette Landmasse zwischen Alpen und Nordsee, um ein gutes Dutzend Breitengrade in Richtung Äquator transportiert.“ Fast im ganzen Monat Juli herrschten 25 Grad oder mehr, an fünfzehn Tagen kletterte das Thermometer auf dreißig Grad. Am 27. Juli 1983 stellte der Geophysikalische Messzug der Bundeswehr in der Oberpfalz 40,3 Grad fest.
Im September hatte sich das Wetter aber wieder normalisiert. Wer sich in die Messehallen der Stadt Berlin begab, konnte ohne Hitzeprobleme die 34. Internationale Funkausstellung anschauen. Sie lief vom 2. bis zum 11. September 1983 und zeigte Attraktionen wie CDs, Camcorder, Fernseher fürs Auto, das erste Handy von Motorola und auch verschiedene Computerspiele. Einen Überblick bietet unser Film – bitte zu Minute 8:35 vorfahren.
In Halle 10 hatte die Bundespost eine Sonderschau aufgebaut, um Zukunftsprojekte zu präsentieren. Vermutlich an diesem Ort weihte Postminister Christian Schwarz-Schilling am 2. September 1983 die wichtigsten ein: Bildschirmtext und Videokonferenz. Leider ist das Ereignis nur in einem unscharfen Foto überliefert, man ahnt aber die roten Knöpfe, die der Politiker damals drückte. Die Aktion ist natürlich durch Willy Brandt inspiriert, der auf der Funkausstellung 1967 in ähnlicher Weise das Farbfernsehen startete.
Der Postminister kam von der CDU, die mit der CSU und der FDP ein knappes Jahr vorher die Regierung übernommen hatte. Den Bildschirmtext erbte Christian Schwarz-Schilling von der alten SPD-FDP-Koalition und seinen Vorgängern Kurt Gscheidle und Hans Matthöfer. Er wurde schon auf den Funkausstellungen 1977 und 1979 vorgeführt; 1980 begannen Feldversuche in West-Berlin und in Düsseldorf. Die Resultate waren, wie man sich denken kann, positiv.
Was ist Btx ? Das erklärt das Bildschirmtextversuchsgesetz von Nordrhein-Westfalen: „Bildschirmtext ist ein Informations- und Kommunikationssystem, bei dem die Teilnehmer elektronisch gespeicherte, textorientierte Informationen und andere Dienste bestimmter Anbieter abrufen sowie Einzelmitteilungen an von ihnen bestimmte Teilnehmer übermitteln können. Hierbei werden Fernmeldenetze zur Übermittlung und … Fernsehbildschirme unter Verwendung bestimmter Einrichtungen (Dekoder) zur Wiedergabe verwendet.“
Bildschirmtext ist also ein interaktives Datennetz, das als Terminal ein spezielles TV-Gerät nutzt. In den frühen 1990er-Jahren erschienen Endgeräte wie das „MultiTel T“ aus unserem Eingangsbild (Foto: Jan Braun, HNF). Das Ur-Btx steuerte man aber per Fernbedienung, wie im Video vom März 1983 zu erkennen. Erfunden wurde das System vom englischen Fernmelde-Ingenieur Sam Fedida. Im Vereinigten Königreich hieß es Viewdata oder Videotex – bitte nicht mit unserem Videotext verwechseln. Ein technischer Verwandter ist das französische Minitel.
Zu Beginn des Bildschirmtextes folgte die Post dem britischen Übertragungsstandard. Das Btx-System von 1983 basierte auf einer anderen Norm mit besserer Auflösung, welche die europäische Postvereinigung CEPT definiert hatte. Den Auftrag für die Computer erhielt die Firma IBM. In Ulm stand ein Zentralrechner, an den sich sternförmig kleinere Rechner anschlossen. Sie alle speicherten die Seiten der Btx-Anbieter. Der Btx-User am Fernseher kommunizierte mit einer von fünfzig Vermittlungsstellen, eine frühe Form der „Cloud“.
Die schlechte Nachricht war, dass am 2. September 1983 gar kein IBM-Netz existierte. Big Blue hatte es nicht geschafft, die Rechner in Ulm und um Ulm herum pünktlich zum Laufen zu bringen. Was Postminister Schwarz-Schilling in Berlin einschaltete, war ein Provisorium. Btx-Computer aus den zwei Pilotprojekten wurden auf die CEPT-Norm umprogrammiert und konnten einige Tausend Nutzer versorgen. Die IBM-Rechner und der richtige Bildschirmtext starteten schließlich im Juni 1984.
Im November 1984 zählte Btx erst 19.000 Teilnehmer. Dazu gehörten 3.000 Seitenanbieter sowie die 5.500 Mitwirkenden der Feldversuche, denen die Post die neuen Btx-Decoder schenkte. Sie hätten im Laden mehr als Tausend DM gekostet. Im gleichen Monat wurde der Staatsbetrieb Opfer des Btx-Hacks, den sich der Chaos Computer Club ausgedacht hatte. Zur nächsten Funkausstellung 1985 umfasste der Nutzerkreis 33.000 Bürger. Neben der Hardware und den Telefonkosten zahlten sie 55 DM für den Anschluss und 8 DM im Monat für den Betrieb. Die Anbieter trugen eine verwirrende Vielfalt weiterer Gebühren.
1986 erhielt der Bildschirmtext eine Chat-Funktion. 1993 erfolgte seine Umbenennung in Datex-J. 1995 ging er im Netzdienst T-Online auf. Damals hatte das System 850.000 Kunden; Gewinne hat es wohl nie gemacht. „T-Online Classic“ diente primär Geldgeschäften; 2007 wurde es abgeschaltet. Mancher Gebührenzähler lief noch weiter, wie ein Vorfall aus dem Jahr 2010 beweist. Das erste deutsche Internet war aber damals schon Geschichte.