Gakutensoku – der erste japanische Roboter
Geschrieben am 22.11.2022 von HNF
Japan ist heutzutage eine Großmacht in der Robotik. Der Beginn der japanischen Roboter-Begeisterung liegt 94 Jahre zurück. Im September 1928 wurde in einer Ausstellung in Kyoto Gakutensoku gezeigt, frei übersetzt „Schüler der Natur“; sein Schöpfer war der Biologe Makoto Nishimura. Der überlebensgroße Automat saß auf einem Podest, verzog sein Gesicht und bewegte einen langen Schreibstift.
Ältere Leserinnen und Leser erinnern sich wahrscheinlich noch an den japanischen Kaiser Hirohito. 1901 geboren, trat er im Dezember 1926 sein Amt an. Gekrönt wurde er am 10. November 1928 in Kyoto. Die Stadt feierte das Ereignis mit einer großen Ausstellung, die im September 1928 eröffnete und viele Gebäude belegte. Das ist ein Stadtplan in englischer Sprache, bitte rechts oben das Feld „fullScreen“ anklicken. Die drei Ausstellungsflächen lassen sich leicht finden.
Zur „Western Division“ der Schau zählten Hallen für Maschinen, für Elektrizität, für Patente und Erfindungen sowie für die Presse. Wohl in diesem Bereich befand sich eine Attraktion der Ausstellung: Gakutensoku. Das japanische Wort heißt „Lernender der Naturgesetze“, wir möchten es mit „Schüler der Natur“ übersetzen. Es bezeichnete einen menschenähnlichen und goldglänzenden Automaten, der an einem Tisch saß, umherblickte und zu schreiben schien. Samt Podest war die Konstruktion dreieinhalb Meter hoch. Sie ist oben in unserem Eingangsbild zu sehen; links steht der Schöpfer der Figur.
Makoto Nishimura wurde am 26. März 1883 in einem Dorf der Präfektur Nagano geboren; der Vater arbeitete in der Verwaltung. Nishimura studierte Naturwissenschaften in Hiroshima, danach war er als Lehrer und Dozent in der japanisch kontrollierten Mandschurei tätig. 1915 setzte er sein Studium in New York fort, nach der Promotion 1920 in Botanik machte er sich in Schweden und in Norwegen mit der Meeresbiologie vertraut. Ab 1921 übernahm er eine Professur für Fischereiwissenschaft in der nordjapanischen Stadt Sapporo.
1927 wechselte Nishimura zur Tageszeitung Mainichi Shimbun in Osaka. Nun entwickelte er seinen Automaten. Er kannte von japanischen Aufführungen das Roboter-Drama R.U.R. und aus seiner Zeit in den USA die Steam Men der Groschenromane. 1927 las er vom Televox des amerikanischen Ingenieurs Roy Wensley. Das System reagierte auf Töne und wurde als Kunstmensch dargestellt. Nishimura wollte aber weg von dem mechanischen Sklaven, er strebte ein anderes Ideal an, den gleichberechtigten Bruder des Menschen.
Dieses Ideal realisierte er mit einem kleinen Team in Osaka. Ein Bericht über seine Arbeit und Fotos dazu erschienen vor zwei Jahren im Magazin IEEE Spectrum. Der Automat wurde mit Druckluft betrieben; sie veränderte die Gesichtszüge, rollte die Augen und bewegte die Arme. Das zugehörige Programm trug eine Walze mit Nocken, die die Ventile der Druckluft-Leitungen öffneten und schlossen. In der rechten Hand hielt der Schüler der Natur einen Griffel, mit dem er chinesische Schriftzeichen malte, die linke umschloss eine Lampe.
Von September bis November 1928 saß Gakutensoku auf der Schau in Kyoto, danach wurde er in Hiroshima und in Korea gezeigt – das Land war von 1910 bis 1945 eine japanische Kolonie. 1931 erschien er in einer Ausstellung in Tokio. Das weitere Schicksal ist ungeklärt. Makoto Nishimura ging 1932 in den von Japan beherrschten Teil Chinas, wo er sich sozialen Aufgaben widmete; sein Gehalt erhielt er von der Zeitung. Nach 1945 arbeitete er wieder als Lehrer in seiner Heimat. Er starb am 4. Januar 1956.
Sein Schüler der Natur gilt als erster japanischer Roboter im modernen Sinne. Es gab zuvor die Karakuri-Automaten, doch mit Gakutensoku begann die Roboterbegeisterung, die bis heute im Land herrscht. 1929 lief in Tokio der deutsche Zukunftsfilm Metropolis mit der berühmten Roboterin an. Er gelangte auch nach Osaka, wo ihn Makoto Nishimura sicher sah. Den Namen eines deutschen Schriftstellers trug der Roboter Remarque; ein Kaufhaus in Tokio präsentierte ihn 1930. Nur wenig wissen wir über den Metallroboter, den zur gleichen Zeit der Bastler Yasutaru Mitsui schuf.
Nach dem Zweiten Weltkrieg eroberten japanische Spielzeugroboter die Welt, ihnen folgten dann richtige. Gakutensoku geriet in Vergessenheit, wiederentdeckt wurde er von Hiroshi Aramata. Er verfasste in den 1980er-Jahren zwölf Romane, die in einem fantastischen Tokio spielen; der Schüler der Natur ist einer der Helden. 1988 entstand nach den Büchern ein Kinofilm; die Gakutensoku-Episode startet hier. Das Wissenschaftsmuseum von Osaka erstellte 1992 eine kleine und 2008 eine lebensgroße Replik. Sie bewegt sich und vermittelt den schönsten Eindruck von unserem ökologischen Automaten.