In memoriam Anita Borg (1949-2003)

Geschrieben am 18.01.2022 von

Am 17. Januar wäre Anita Borg 73 Jahre alt geworden. Die amerikanische Informatikerin strebte zu Lebzeiten danach, die Position der Frau in der Computerwelt zu verbessern. Das von ihr gegründete Institut für Frauen und Technik – heute AnitaB.org – zählt zu den aktivsten Gruppen des digitalen Feminismus. 1985 und 1986 arbeitete Anita Borg bei Nixdorf.

In der Geschichte der Nixdorf Computer AG finden wir neben dem Gründervater noch andere Persönlichkeiten, die das Adjektiv „prominent“ verdienen. Man denke an den Zehnkampf-Weltrekordler Kurt Bendlin, der die NCAG-Sportabteilung leitete, oder an Ron Sommer, der es vom Übersee-Manager bis zum Chef der Deutschen Telekom brachte. Eine ganz besondere Karriere absolvierte aber Anita Borg.

Geboren wurde sie als Anita Borg Naffz am 17. Januar 1949 in Chicago. Borg war der Name ihrer Mutter, ihr Familienname ist wohl deutschen Ursprungs. Sie wuchs in einem Ort in der Umgebung der Metropole auf; später zog die Familie nach Hawaii und schließlich in den Nordwesten der USA. Anita besuchte die High School von Everett nördlich von Seattle; ab 1967 studierte sie Mathematik an der Universität des Bundesstaates Washington. Sie heiratete und folgte ihrem Ehemann nach New York. Dort musste sie Geld verdienen und jobbte in einer kleinen Versicherung, wo sie das Programmieren lernte.

Die Ehe wurde geschieden, und Anita Borg nahm das Studium wieder auf. 1981 promovierte sie an der Universität New York im Fach Informatik mit einer Arbeit über Betriebssysteme. Sie fand schnell eine Anstellung bei der Firma Parallel Computers Systems in Fort Lee, einem Nachbarort von New York. Ab 1983 hieß das Unternehmen Auragen. Es wollte Rechner mit 32-Bit-Prozessoren von Motorola bauen, die nach dem Ausfall eines Elements mit den übrigen weiterarbeiteten. Die Experten nannten so etwas fehlertolerante Systeme.

Anita Borg (Foto Winfried Wilcke)

1983 lag das Modell Auragen 4000 vor; der Minicomputer wurde Anfang 1984 an Kunden geliefert. Die NCAG beteiligte sich an der Firma und brachte eine Abwandlung des Rechners als Nixdorf 8832 heraus. 1984 geriet Auragen in finanzielle Schwierigkeiten; im Juli 1985 kam das Ende. Der Paderborner Partner übernahm das in der Entwicklung befindliche neue Auragen-Modell und die Entwicklerin Anita Borg. Nach fünfzehn Jahren Leben in New York zog sie – wahrscheinlich im Februar oder März 1985 – mit zwei Katzen nach Paderborn.

Sie blieb dort ein Jahr und half den Nixdorf-Kollegen beim Fertigstellen des unvollendeten Computers. Die NCAG gab ihm den Namen Targon /32; er ist im Eingangsbild zu sehen. Aus Anita Borgs Paderborner Zeit sind ein Foto – siehe ganz unten – und Zitate überliefert, etwa das folgende: „In einer kleinen Stadt im Norden Deutschlands zu leben, ohne ein Wort Deutsch zu können, war ein interessantes Erlebnis.”  An anderer Stelle sprach sie von einem “character-building experience”, was man mit Aufbau innerer Stärke übersetzen könnte.

Nach “einem Jahr in Deutschland im Regen” besuchte sie im März 1986 eine Informatik-Tagung im sonnigen Kalifornien. Die dort geknüpften Kontakte verhalfen ihr zum Neuanfang im Dienst der Digital Equipment Corporation. Sie saß im kalifornischen Forschungsinstitut sowie im Netzwerk-Labor. 1992 entwickelte sie das mailbasierte Kommunikationssystem MECCA. 1997 wechselte Anita Borg ins PARC der Firma Xerox. Hier widmete sie sich dem von ihr ins Leben gerufenen Institut für Frauen und Technik oder IWT.

Männer haben Zutritt: John White, der Leiter des Informatikerverbands ACM, auf der Grace-Hopper-Konferenz 2013 in Minneapolis (Foto AnitaB.org CC BY-NC-ND 2.0)

Damit wären wir bei dem Thema, das Anita Borg bekannt machte, dem Einsatz für Frauen in der Informatik. Schon 1987 gründete sie die technikfeministische Online-Gemeinde Systers; das war die Homepage im Jahr 1997. 1994 startete sie die Grace Hopper Celebrations, eine Serie von Konferenzen mit primär weiblicher Beteiligung. Auf das Podium wagten sich aber auch Männer. Das oben erwähnte Institut trägt inzwischen den Namen Anita Borgs; die Seite AnitaB.org bietet den besten Überblick über seine vielen Aktivitäten.

Anita Borg liebte das Leben, den Sport und das Abenteuer. 1999 heiratete sie ein zweites Mal; ihr Ehemann war der in Deutschland geborene und für die IBM tätige Physiker Winfried Wilcke. Zu diesem Zeitpunkt wusste sie schon – und ihr Mann sicher ebenso – dass sie an einem Gehirntumor litt. Drei Jahre ging sie noch ihrer Arbeit nach, dann verschlechterte sich ihr Zustand so sehr, dass auch eine Operation nichts mehr half. Am 6. April 2003 starb Anita Borg im Haus ihrer Mutter im kalifornischen Städtchen Sonora. Sie wurde nur 54 Jahre alt.

Einen Eindruck von ihrem Denken und ihrem Humor vermittelt ein langes Interview vom Januar 2001. Wenig später kam es zu einem  Gespräch mit einer Redakteurin von SPIEGEL ONLINE. Auf YouTube blieben Aufnahmen mit ihr aus den Jahren 1994 und 1997 erhalten. Wohl zum zehnten Todestag entstand ein Video, in dem wir ihren Mann kennenlernen. Falls ein Leser oder eine Leserin Fotos aus ihrer Nixdorf-Zeit besitzt, würde uns eine Mitteilung freuen. Bei Winfried Wilcke bedanken wir uns herzlich für das Bild oben und das Foto unten, das wahrscheinlich im September 1985 in Anita Borgs Paderborner Büro entstand.

(Foto Winfried Wilcke)

 

 

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