Schach dem Computer

Geschrieben am 24.08.2018 von

Vor 41 Jahren erfuhren die Bundesbürger, was Künstliche Intelligenz ist. Im August 1977 erschienen die ersten Schachcomputer für den Hausgebrauch. Erster in den deutschen Läden war der Chess Challenger der US-Firma Fidelity Electronics. Ab 1980 verkaufte die Münchner Hegener + Glaser AG die Computer der Marke Mephisto. Dank ihrer Spielstärke beherrschten sie bald den Markt.

Am 20. Juni 1977 stand es im SPIEGEL: „Der Chess Challenger, ein erster für den Jedermann-Gebrauch konstruierter Schachcomputer, kam jetzt auf den US-Markt. Der menschliche Gegner tippt seine Züge wie auf einem Taschenrechner ein, dann leuchtet im Sichtfeld der Gegenzug des elektronischen Partners auf.“ Das Magazin hatte vorher schon über Schach spielende Computer in Universitäten berichtet, jetzt ging es aber um ein Gerät, das frei verkäuflich war und ohne Programmierkenntnisse bedient werden konnte.

Computer Boris, benannt nach dem russischen Schachweltmeister Boris Spasski.

Der Schach-Herausforderer stammte von der Fima Fidelity Electronics; sie hatte ihren Sitz in Chicago und zog 1981 nach Miami um. Im Inneren saß ein Mikroprozessor des Typs Intel 8080; die spielerischen Fähigkeiten sollen jämmerlich gewesen sein. Etwas besser schlug sich der Chess Challenger 3. Er wurde im August 1977 auf der Berliner Funkausstellung präsentiert, danach konnte man ihn für 698 DM erwerben. Unser Eingangsbild zeigt den sprechenden Chess Challenger Voice von 1979. Er berechnete seine Züge mit einem Z80-Chip.

Nach dem Computer aus Chicago erschien 1977 der in Florida gefertigte CompuChess. 1978 folgten der Boris von der im US-Bundesstaat Maryland ansässigen Firma Chafitz sowie der Chess Champion aus Hongkong. Der Hersteller Novag war eine Gründung des Nürnbergers Peter Auge und des Schweizers Erich Winkler. Die Software ihres Champions kupferten die zwei beim CompuChess ab. Sie überstanden aber das unausweichliche Gerichtsverfahren, und der Preis von nur 248 DM sorgte für einen Verkaufserfolg.

Das erste Modell der Mephisto-Familie war nur 17 Zetimeter breit.

In den Siebzigern begann die Goldene Ära der kleinen Schachrechner; sie dauerte etwa 15 Jahre. Sie brachte – eine Rarität im IT-Bereich – einen deutschen Markführer hervor, die Hegener + Glaser AG aus München. Ihre 1980 eingeführten Mephistos übertrafen hinsichtlich der Spielstärke zahlreiche Konkurrenten; von 1984 bis 1993 errangen sie den Weltmeistertitel der Mikrocomputer. Möglich machten es die Münchner Schachprogrammierer Thomas Nitsche und Elmar Henne sowie der geniale Engländer Richard Lang.

„Selten nur ist in den letzten Jahren ein relativ teurer technischer Artikel so schnell zum Schlager geworden. In knapp zwei Jahren, vom August 1977 bis zum September 1979, wurden in der Bundesrepublik etwa 50.000 Schachcomputer zu Preisen zwischen 229 und 898 Mark verkauft.“ Das berichtete der SPIEGEL im Dezember 1979. Ihm verdanken wir auch eine ganze Anzahl von Testberichten, die die Entwicklung der Schachcomputer-Szene dokumentieren. Sie seien im Folgenden kurz zusammengefasst.

Mephisto-Modular aus dem Jahr 1983.

Ende 1979 dominierten die diversen Chess Challenger und das nach Recht und Gesetz programmierte Super System III von Novag. Ein Jahr später führte Boris 2.5 mit vier Punkten die Wertung an. Auf Platz 2 lag mit drei Punkten der neue Mephisto, der aber nur halb so viel wie der US-Rechner kostete. Im Dezember 1982 behielten die Sensory-Modelle von Fidelity die Oberhand. Die Münchner Teufel schafften es wie der Chafitz-Computer „La Regence“ nur auf den zweiten Rang. Dafür hatte die Hegener + Glaser AG im Juni 1985 die Nase vorn.

In den 1990er-Jahren endete der Boom. Die normalen Mikrocomputer wurden immer besser, und raffinierte Schachprogramme für den Personal Computer wie Fritz kamen heraus. 1989 kauften Hegener + Glaser den Erzrivalen Fidelity, 1994 wurden sie vom Konkurrenten Saitek übernommen. Der ist aber auch aus dem Schachgeschäft heraus und gehört heute dem Maus-Hersteller Logitech. 1996 entstand in Aschheim bei München die Millennium 2000 GmbH, die immer noch klassische Schachcomputer anbietet.

Der „Robot Adversary“ von Novag besaß 1982 einen Greifarm. (Foto Computer History Museum)

Schließen möchten wir mit der Dokumentation Made in Hongkong von 1980 – damals war die Stadt noch britische Kronkolonie. Der Film von Arpad Bondy bietet einen Einblick in das Leben von Schachcomputerpionier Peter Auge. Man sieht auch einige seiner Produkte, etwa den Prototyp des Novag-Roboters. Seine Firma hat Auge aber 2009 verkauft.

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2 Kommentare auf “Schach dem Computer”

  1. 1980 fand in London die erste Mikrocomputerschachweltmeisterschaft statt. Organisator war David Levy. Ich nahm daran mit „Victor“ (benannt nach dem Großmeister Victor Kortschnoi) teil, einem vom Privaten Forschungsinstitut für Androidentechnik (Pfiat) entwickelten Programm, das ich im Auftrag von Siemens-Nixdorf begutachtet hatte. 1981 veröffentlichte die Stiftung Warentest einen umfangreichen Schachcomputertest, in dem alle damals bekannten rund 20 Geräte mit einbezogen wurden.
    Der erste funktionsfähige Schachautomat ist jedoch viel älter (um 1910). Erfinder ist Leonardo Torres Quevedo.
    Nähere Angaben dazu finden Sie im soeben erschienenen Werk:
    Meilensteine der Rechentechnik, De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston, 2018, 1600 Seiten
    https://www.degruyter.com/view/product/503373

    1. HNF sagt:

      Hier gibt´s noch mehr zum Schachautomaten von Torres y Quevedo: https://blog.hnf.de/luftschiffe-und-schachmaschinen/

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