
Schreibmaschinen für China
Geschrieben am 27.06.2025 von HNF
Unser ABC hat 26 Buchstaben, zählt man die kleinen hinzu, dann sind es 52. Vor gut 150 Jahren wurden die ersten Schreibmaschinen in größerer Stückzahl gefertigt. Die Chinesen kennen Tausende von Schriftzeichen; doch auch sie produzierten Schreibmaschinen. Unter deutscher Beteiligung entstand von 1953 an das populärste Modell, die Doppelte Taube. Ein Exemplar besitzt das HNF.
Im ersten Obergeschoss, neben der IBM-Kugelkopfmaschine und beim Übergang zu den mechanischen Rechenmaschinen, erhielt sie ihren Platz: die Doppelte Taube aus Shanghai. Sie verbreitete sich ab 1953 und wurde zur Standard-Schreibmaschine der Volksrepublik China. Das Exemplar in Paderborn ist vom Typ DHY-C und aus dem Jahr 1992.
Der Beginn der chinesischen Schreibtechnik liegt in den 1890er-Jahren. Damals erdachte der amerikanische Missionar und Schuldirektor Devello Sheffield eine Schreibmaschine mit 4.662 Zeichen. Sie füllten eine Scheibe, unter der sich die dazugehörigen Typen und die Mechanik zum Drucken eines Symbols befanden. Sheffield ließ in China ein Holzmodell bauen, eine Firma in den USA lieferte eine Version aus Metall. Er machte seine Schöpfung 1897 auf einem Orientalisten-Kongress in Paris bekannt, 1899 erschien sie mit Bild im Scientific American. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt.
In den 1910er-Jahren erfanden chinesische Studenten in Amerika zwei Schreibmaschinen-Modelle. Qi Xuan wohnte in New York und beantragte 1915 ein Patent für ein Gerät, das einzelne Striche eines Schriftzeichens auf dem Papier kombinierte. Er erhielt das Patent 1918 unter dem Namen Heuen Chi – Huen Chi wäre wohl die bessere Transkription. Sein Landsmann Zhou Houkun alias Chow Hou-kun entwickelte am MIT eine Maschine mit vier austauschbaren Zylindern. Jeder trug 1.500 Typen, von denen man jeweils eine zum Druck auswählte. 1917 brachte die Zeitschrift Popular Science einen Kurzbericht.
Zhous Maschine wurde in China bekannt, aber nicht in Serie gebaut. Das geschah erst 1922 beim Schreibgerät von Shu Zhendong, das ein in Shanghai ansässiger Verlag produzierte. Das zentrale Teil bildete ein flacher Kasten, der 2.500 Typen enthielt. Er war verschiebbar und trug den ebenfalls verschiebbaren Zylinder für das Papier. Der Nutzer bewegte Kasten und Zylinder mit Hilfe eines Stiftes, der auf eine Tafel mit Schriftzeichen zeigte. So konnte er die gewünschte Type heraussuchen und mit einem Hebel auf das Papier schlagen. Bitte auch die Fotos auf dieser und dieser Website konsultieren.
Zwei andere Maschinen entstanden in den 1940er-Jahren. Der 1895 geborene Schriftsteller Lin Yutang erhielt 1952 ein US-Patent für seine MingKwai („klar und schnell“), das ist das deutsche Patent von 1955. Eine New Yorker Firma baute einen Prototyp, die Nutzungsrechte verkaufte Lin an die aus der Drucktechnik bekannte Mergenthaler Linotype Company. Sie unternahm aber nichts weiter, und Lin starb 1976. Sein Maschine geriet in Vergessenheit, doch im Januar 2025 tauchte der Prototyp in einem Keller im US-Bundesstaat New York auf. Er ruht jetzt in der Bibliothek der Stanford-Universität.
Wo die Schreibmaschine von Gao Zhongqin oder Kao Chung-chin landete, wissen wir nicht. Bekannt ist, dass der Erfinder – er war Jahrgang 1906 und lebte in New York – 1943 ein amerikanisches Patent anmeldete und 1946 erhielt. IBM zeigte Interesse und fertigte eine Kleinserie. Es wurde auch ein Film gedreht; die Maschine erscheint bei Minute 12:30. In den 2010er-Jahren stand ein Exemplar in einem inzwischen geschlossenen Bürotechnik-Museum in Wilmington, vielleicht kam es später zu einer Versteigerung. Überlebt haben auf jeden Fall einige Fotos.
Nun müssen wir ins Jahr 1915 zurückgehen. Damals erhielt der Typograph Kyota Sugimoto ein japanisches Patent für eine Schreibmaschine, das amerikanische folgte 1917. Im selben Jahr nahm in Tokio die neu gegründete Nippon Typewriter Company die Produktion auf. Das Gerät arbeitete nach dem Setzkasten-Prinzip, das wir schon bei Shu Zhendong trafen; man wählt eine Type aus und bringt sie zu Papier. Möglicherweise wusste Shu von Sugimotos Erfindung. Da die japanische Schrift auf der chinesischen basiert, hätte sich die Technik problemlos übertragen lassen.
Von 1937 bis 1945 dauerte der japanisch-chinesische Krieg, in dem Japan den Nordosten Chinas mit der Metropole Shanghai eroberte; schon vorher besetzte es die benachbarte Mandschurei sowie Korea. Ein Nebeneffekt war der Import von Nippon-Schreibmaschinen; sie trugen den chinesischen Namen Wanneng, zu Deutsch Allzweck, und verdrängten alle einheimischen Modelle. Nach dem Ende des Krieges ging die Fertigung der Allzweck-Maschinen in China weiter; die japanischen Ursprünge blendete man einfach aus.
In den frühen 1950er-Jahren kam es zur Zusammenarbeit zwischen chinesischen Stellen und dem VEB Optima Büromaschinenwerk in Erfurt; zu jener Zeit vertrugen sich Rotchina und die Länder des Sowjetblocks noch. Der Volkseigene Betrieb legte 1952 eine verbesserte Version der Wanneng vor, die eine Fabrik in Shanghai nachbaute. 1964 erschien ein einheitliches Schreibmaschinenmodell für das ganze Land, die Doppelte Taube DHY. Das HNF besitzt die Version DHY-C von 1992; sie ist 61,5 Zentimeter breit und 44 Zentimeter lang und wiegt knapp 28 Kilo. Sie ist oben in unserem Eingangsbild zu sehen.

Maschine HWA Shing Brand aus der Republik China, gebaut um 1990 (Foto Peter Boesang/ Museumsstiftung Post und Telekommunikation CC BY-SA 4.0 seitlich beschnitten)
Der Benutzer hatte Zugriff auf 2.450 Zeichen, außerdem gab es Kästen mit zusätzlichen Typen. Zum Schreiben brauchte er Kohlepapier, es existierte aber eine Variante mit einem Farbband, wie im Video zu sehen. Auch das Science Museum in London und das Museum für amerikanische Geschichte in Washington besitzen die Maschine. Dieses Video zeigt eine Sekretärinnenschule, deren Schülerinnen ein irrwitziges Tempo einlegen. Es entstand wohl in den 1980er-Jahren in Taiwan. Die Doppelte Taube wurde bis 1992 produziert.
Danach wurde sie durch Personal Computer ersetzt. Ein spezielles elektronisches System entwickelte ab 1973 die Firma Olympia in Wilhelmshaven. 1981 zeigte sie einen Prototyp in Peking, der einen Tintenstrahldrucker hatte. Das Serienmodell Olympia 1011 erschien 1984, der Hersteller verkaufte aber nur 600 Stück. Es schrieb die seit einer Reform im Jahr 1956 in der Volksrepublik gültigen Zeichen. Eine Version für die in der Republik China übliche Schrift war nicht geplant. Eine Olympia 1011 liegt im Depot des Berliner Technikmuseums; online sind Broschüren in deutscher und in englischer Sprache.
Wer mehr über chinesische Schreibtechnik erfahren möchte, kann das 2018 erschienene Buch des amerikanischen Historikers Thomas Mullaney studieren. 2024 schrieb er ein weiteres Werk zur chinesischen Textverarbeitung. Das Bundesarchiv verwahrt einen Film über die Montage der Optima-Schreibmaschine aus dem Jahr 1953; er ist leider nicht online. Zum Schluss bedanken wir uns noch einmal bei Karl-Ludwig Butte und Frau Dr.-Ing. Ling Butte für Hilfe bei chinesischen Schriftzeichen.