Thomas Watson junior (1914-1993)
Geschrieben am 12.01.2024 von HNF
Am 14. Januar 1914 wurde im amerikanischen Dayton Thomas Watson jun. geboren. Sein Vater Thomas Watson sen. leitete die Computing-Tabulating-Recording Company, die ab 1924 IBM hieß. Der junge Watson trat 1946 in das Management der Firma ein. Von 1956 bis 1971 war er Direktor des Unternehmens und machte es zum größten Computerhersteller auf der Welt.
„In welchem Tempo die Automation fortschreiten wird, weiß am besten der Präsident des größten Automaten-Konzerns der Welt, Thomas Watson in New York, dessen Vater seine einträgliche Karriere als Verkäufer von Pianos, Hausorgeln, Fußabtretern und Nähmaschinen begann. Die Auftragsabteilung des soignierten jungen Firmenchefs der IBM, Thomas Watson jun., notierte bis April dieses Jahres 129 Neubestellungen von Mammut-Elektronengehirnen, die Watson übrigens nur selten verkauft, sondern meist gegen hohe Jahresmiete verleiht.“
Das schrieb der SPIEGEL am 26. Juli 1955 im Artikel Die Revolution der Roboter. Es war die erste Nennung des soignierten – heute sagt man kultivierten – IBM-Chefs Thomas Watson junior. Er fungierte als Präsident, teilte die Macht aber mit dem Vater, dem mit den Pianos und Hausorgeln. Der 81-jährige Thomas Watson senior stand seit 1914 an der Spitze des Unternehmens. Er hatte IBM zum größten Hersteller von Lochkartenmaschinen gemacht und 1944 den ersten Computer Amerikas bauen lassen, den Relaisrechner ASCC.
In den frühen 1910er-Jahren arbeitete er für die Registrierkassenfirma NCR in Dayton/Ohio. Dort kam am 14. Januar 1914 sein erstes Kind zur Welt. Es erhielt den Namen des Vaters, wurde aber meist nur Tom genannt. Tommy Watson wuchs nicht weit weg von New York im US-Bundesstaat New Jersey auf. Er war ein schlechter Schüler und schaffte mit Mühe den College-Abschluss. Am besten beherrschte er das Fliegen. Er erwarb früh den Pilotenschein, später steuerte er auch Hubschrauber und Düsenjets.
1937 machte Watson jun. eine Weltreise, die ihn durch Berlin, Moskau, Tokio und Peking führte. Nach der Rückkehr schloss er sich der Firma seines Vaters an. In der IBM-Fabrik von Endicott im US-Staat New York absolvierte er das Verkaufstraining; danach arbeitete er in New York. Anfang 1940 wurde er durch einen Auftrag der Firma US Steel zum Top-Verkäufer, was ihm gar nicht behagte. Ab September 1940 flog Watson als Pilot in der amerikanischen Nationalgarde. 1942 gelang ihm der Eintritt in die regulären Luftstreitkräfte.
Hier war er der Adjutant von General Follett Bradley. Der hatte die Aufgabe, die UdSSR mit Bombern zu versorgen. 1942 verbrachte Watson mit Bradley mehrere Monate in Russland, anschließend arbeitete er größtenteils in Washington. Nachdem der General 1944 in den Ruhestand ging, diente Watson in Südostasien, Nordafrika, Italien und im Pazifik. Nach Ende des Krieges wollte er Verkehrspilot werden, doch sein alter Kommandant stimmte ihn um. Im Januar 1946 fing Thomas Watson in der New Yorker IBM-Zentrale an.
Er war zunächst Assistent des IBM-Vizepräsidenten Charles Kirk; bald darauf erhielt er eine ähnliche Stelle und einen Sitz im Vorstand. Im März 1946 schaute er sich in Philadelphia den Elektronenrechner ENIAC an, der ihn nicht sonderlich beeindruckte. Er förderte aber den elektronischen Multiplizierer IBM 603, der im September 1946 herauskam. Im Jahr 1949 wurde Thomas Watson geschäftsführender Vizepräsident. In dieser Funktion kümmerte er sich um den IBM 701, den ersten Digitalcomputer, den das Unternehmen auf den Markt brachte. Ab Januar 1952 trug Thomas Watson jun. den Titel Präsident.
Ganz oben saß aber sein Vater, und immer wieder verkrachten sich die beiden. Einen friedlichen Moment ihrer Beziehung hielt 1954 die Wochenschau fest. Damals weihten sie den Computer NORC der US-Marine ein. Neben Watson senior erkennt man den für IBM tätigen Astronomen Wallace Eckert. 1955 schmückte ein Bild von Watson junior das Cover von TIME. Im Mai 1956 löste er seinen Vater an den IBM-Spitze ab; der alte Watson starb einen Monat später. Kurz darauf stellte sich Thomas Watson per Film der Belegschaft vor.
„Die Angst vor dem Scheitern wurde die stärkste Kraft in meinem Leben.“ Diesen Satz lesen wir in Watsons 1990 erschienener Autobiografie. Er ist dann nicht gescheitert, im Gegenteil. 1956 beschäftigte IBM 72.500 Menschen und setzte 892 Millionen Dollar um. Als Thomas Watson 1971 nach Herzproblemen die Chefetage verließ, hatte das Unternehmen 270.000 Mitarbeiter und Einkünfte von 8,3 Milliarden Dollar. IBM bleibt bis heute die Computerfirma schlechthin. Der beste Beleg von Watsons Fähigkeiten ist vielleicht die Tatsache, dass das Unternehmen noch in alter Form existiert.
Wie sein Vater stand Thomas Watson junior der demokratischen Partei nahe. 1978 ernannte Präsident Jimmy Carter ihn zum Leiter des Abrüstungsausschusses GAC. Ein Jahr später schickte er ihn als US-Botschafter nach Moskau. Dort wurde Watson von der sowjetischen Invasion Afghanistans überrascht; Anfang 1981 kehrte er nach Amerika zurück. 1987 konnte er aber noch einmal die russischen Städte abfliegen, die er im Krieg kennengelernt hatte. 1990 legte er seine Memoiren vor, die auch auf Deutsch herauskamen. Thomas Watson starb am 31. Dezember 1993 in einem Krankenhaus im US-Bundesstat Connecticut.
Watson war verheiratet und zog sechs Kinder groß. Eine TV-Sendung mit ihm wurde 1957 ausgestrahlt; er tritt bei Minute 51:05 auf. Im gleichen Jahr entstand eine Reportage der Illustrierten LIFE. Hier sieht man ihn mit dem russischen Staatschef Nikita Chruschtschow, der 1959 die IBM-Fabrik in Kalifornien besuchte; das ist ein Interview aus dem Jahr 1982. Pünktlich zum 110. Geburtstag erschien ein neues Buch über ihn, das ein Enkel schrieb – da verzeiht man den Titel. Das Eingangsbild oben nahm 1962 die Fotografin Toni Frissell auf.