Von Sweetspot zu Simon

Geschrieben am 18.11.2022 von

Die frühen Neunziger waren keine guten Jahre für IBM. Die Firma machte damals Verluste in Milliardenhöhe, brachte aber auch Erfolgsmodelle wie den Thinkpad hervor. Am 16. November 1992 präsentierte IBM auf der Computermesse COMDEX einen „personal communicator“. Die Telefongesellschaft BellSouth verkaufte ihn 1994 unter dem Namen Simon. Er gilt als das erste Smartphone.

Vor dreißig Jahren wurden Computer tragbar. Es gab Taschenrechner, digitale Zeitplaner und natürlich Handys für digitale Telefonate. Am 29. Mai 1992 stellte Apple-Chef John Sculley den kleinen Newton vor, einen persönlichen digitalen Assistenten; kaufen konnte man ihn aber erst im August 1993. Die kreativen Angestellten der Firma General Magic träumten derweil von persönlichen Kommunikatoren für Telefongespräche und für Online-Dienste.

Tatsächlich realisiert wurde im November 1992 ein personal communicator apparatus – so lautete der Titel der Patentanmeldung. Er kam aus einem Entwicklungslabor von IBM in Boca Raton/Florida. Zu jener Zeit ging es Big Blue nicht gut. Die Mikrocomputer und die Client-Server-Systeme zahlreicher Konkurrenten nagten am Umsatz der Firma; 1990 machte sie einen Gewinn von sechs Milliarden Dollar; 1991 verzeichnete sie dagegen einen Verlust von 2,8 Milliarden Dollar. 1992 stieg er auf knapp fünf Milliarden.

Das Unternehmen baute aber noch gute Rechner und verfügte über helle Köpfe. Zur ersten Gruppe gehörte das Notebook ThinkPad vom Herbst 1992, das IBM in Japan entwickelte. Ein heller Kopf war der 35-jährige Frank Canova, der Entwicklungsleiter des erwähnten „personal communicator“. Der Ingenieur begann seine Arbeit im Sommer 1992 mit vier Leuten, das Team wuchs rasch auf dreizehn an. Das Ziel war eine Kombination aus einem Handy und einem digitalem Assistenten; die Bedienung sollte über einen Touchscreen erfolgen. Der vorläufige Name lautete „Sweetspot“.

Ein durchsichtiger „Sweetspot“ neben einem iPhone  (Foto Seaware CC BY-SA 4.0 seitlich beschnitten)

Ein Prototyp war im August fertig, im November lagen zehn Exemplare des „Angler“ vor, wie das Produkt inzwischen hieß. Sie wurden nach Las Vegas und zur Computermesse COMDEX gebracht, die am 16. November 1992 eröffnete. Zuvor entstand auf dem IBM-Stand dieses Video. Wir erkennen darin den schnauzbärtigen Frank Canova mit dem gut funktionierenden Kommunikator. Das Team führte ihn auf der Messe erfolgreich vor, und Canova landete in einem Artikel der populären Zeitung USA Today.

Sein Gerät maß zwanzig mal sechseinhalb mal vier Zentimeter. Im Inneren steckte ein Mikroprozessor des japanischen Herstellers NEC, der zum Intel 8088 kompatibel war; letzterer saß im IBM PC. Auch das Betriebssystem lehnte sich an das im Personal Computer an. Der Arbeitsspeicher umfasste ein Megabyte; für die mitgelieferte Software gab es Flash-Speicher. Das beleuchtete Display enthielt 160 mal 293 Pixel und fungierte ebenso als Touchscreen; bedienen musste man es mit einem Stift. Der „Angler“ enthielt ein Modem.

Nach der Premiere 1992 in Las Vegas dauerte es ein Jahr, bis die Vermarktung begann: das ist eine Pressebericht vom November 1993. Der Partner von IBM war die Telefongesellschaft BellSouth. Sie verlangte für Simon – so lautete der endgültige Name – 899 Dollar plus einen Netzvertrag oder 1.099 Dollar ohne Vertrag, Die Fertigung fand nicht bei IBM, sondern bei der amerikanischen Tochter des Mitsubishi-Konzerns statt. Ausgeliefert wurde das Gerät aber erst im August 1994, wie hier geschildert.

Frank Canova im Jahr 2011 (Foto Frank Canova CC BY-SA 4.0)

Was erhielten die Käufer für ihr Geld? Simon war erstens ein Mobiltelefon, zweitens ein digitaler Assistent und Zeitplaner und drittens ein Kommunikator für das Netz. Die Online-Fähigkeiten bestanden im Empfangen von Pager-Rufen sowie im Fax- und Mail-Verkehr. Zum Schreiben von Mitteilungen konnte man ihn um 90 Grad in die Waagerechte drehen und eine Tastatur aufs Display holen. Für weitere Details verweisen wir auf die Gebrauchsanleitung sowie auf einen ausführlichen Artikel des Magazins BYTE.

Zum Internet oder zu dem neuen World Wide Web steht dort nichts, in der Fachwelt gilt der Simon dennoch als das erste Smartphone. Im Computermarkt war er leider ein Misserfolg. BellSouth setzte nur 50.000 Stück ab, und im Februar 1995 endete die Produktion. Es war nicht das Ende der Karriere von Frank Canova: 1997 wechselte der Vater des Simon zum PDA-Hersteller Palm. Später arbeitete er für andere Firmen im Feld der mobilen Computer und häufte mehr als fünfzig Patente an.

IBM überlebte die Krise der frühen Neunziger. Frank Canovas IBM-Kollegen Wayne Whitley verdanken wir ein vorbildliches Video zur Simon-Geschichte. Erwähnen müssen wir noch den Simon-Vorläufer Eo. Er wurde in England gefertigt, kam 1993 in den USA heraus und verschwand im Folgejahr. Man kann sich streiten, ob er schon ein Smartphone oder nur ein Tablet mit Antenne war. Unser Eingangsbild oben zeigt einen Simon aus dem Londoner Science Museum (Foto Science Museum Group CC BY-SA 4.0 seitlich beschnitten). Unten sehen wir einen anderen Simon mit seiner Ladestation.

 

Tags: , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir stellen diese Frage, um Menschen von Robotern zu unterscheiden.