Zu Besuch bei Konrad Zuse
Geschrieben am 18.12.2020 von HNF
Vor 25 Jahren, am 18. Dezember 1995, starb Konrad Zuse im hessischen Hünfeld. Aus diesem Anlass möchten wir einen Blick in das Gästebuch werfen, das der Computererfinder von 1940 bis 1988 führte. Es liegt im Archiv des Deutschen Museums. In das Buch trugen sich Freunde, Bewunderer, Kollegen, Kunden, Wissenschaftler, Journalisten und viele andere Technikinteressierte ein.
Die erste Eintragung stammt vom Hausherrn: „Konrad Zuse Dipl.-Ing. 19. Sept. 1940“ Auf der nächsten Seite stehen sechs vom selben Tage und eine weitere vom 24. September 1940. In die unteren Hälfte setzten Besucher vom 12. Mai 1941 ihre Namen: A. Teichmann, K. Koch, C. Schmieden, [H.] Schreyer, P. Mayer. An jenem Datum führte Konrad Zuse in seinem Berliner Ingenieurbüro die Z3 vor, den ersten Computer der Welt. Den Abschluss der Seite bildet eine Unterschrift vom 14. Mai 1941.
So beginnt das Gästebuch, das Zuse 1940 erwarb. Dort verewigten sich Männer und Frauen, die ihn geschäftlich oder privat besuchten; es begleitete den Computerpionier 48 Jahre lang. Die letzte Notiz stammt vom 5. Juli 1988. Konrad Zuse starb am 18. Dezember 1995; elf Jahre später gelangte sein Gästebuch mit dem wissenschaftlichen Nachlass in das Archiv des Deutschen Museums. Mittlerweile wurden die 193 Seiten gescannt und lassen sich online durchblättern. Genau das haben wir gemacht, und wir fangen einfach vorne an.
Bekannte Namen erscheinen Ende 1942. Am 5. Dezember kam von der TH Darmstadt der Mathematiker und Rechnerpionier Alwin Walther, am 14. trafen seine Assistenten Wilfried de Beauclair und Hans-Joachim Dreyer ein. Aus Aachen reiste am 16. November 1943 Robert Sauer an; in den 1950er-Jahren initiierte er in München den Bau des Computers PERM. Am 28. März 1945 befand sich Konrad Zuse mit dem neuen Relaisrechner Z4 in Göttingen; an jenem Tag trug sich der Aerodynamiker Ludwig Prandtl ins Gästebuch ein.
Danach gab es ein Jahr Pause. 1946 lebte Konrad Zuse im Allgäu; für den 27. April bezeugt das Buch einen Besuch von Alwin Walther mit Frau und Sohn. Am 20. Mai 1947 war der französische Mathematiker Louis Couffignal zu Gast, einen Monat später der in die USA emigrierte deutsche Mathematiker Richard Courant. Der 22. Oktober 1947 brachte einen Abgesandten der Firma DEHOMAG, aus der die IBM Deutschland wurde. Am 13. Juli 1949 ist Eduard Stiefel verzeichnet, Professor an der ETH Zürich und künftiger Nutzer der Z4.
Konrad Zuse zog dann aus dem Allgäu ins hessische Neukirchen. Im Frühjahr 1950 besuchte ihn der holländische Computerpionier Adriaan van Wijngaarden, am 21. April stellten sich drei Besucher von der TH Dresden ein, alle voran der Mathematiker Friedrich Willers. Der deutschamerikanische Luftfahrtexperte Wolfgang Klemperer kam am 5. August 1950. Ein prominenter Gast war am 16. Januar 1951 General Leslie Groves, der ehemalige militärische Chef des US-Atombombenprogramms. Er war mittlerweile Technischer Direktor des Konzerns Remington Rand, eines Kunden der jungen Zuse KG.
Zwei Wochen nach Groves trug sich das Team um Heinz Billing ein, das in Göttingen den Elektronenrechner G1 baute. Im Januar 1952 entdecken wir im Gästebuch Abgesandte von Leitz Wetzlar; die Firma bestellte bei Konrad Zuse die Z5. Wieder ein Prominenter fuhr am 26. April 1956 vor – Georg-August Zinn, der hessische Ministerpräsident. Im September 1956 besuchten die Zuse KG zwei Manager der Firma Nippon Kogaku; heute heißt sie Nikon. Am 19. Juni 1957 finden wir im Buch Hans Konrad Schuff vom Dortmunder Softwarehaus mbp, dem ersten Europas. Die Zuse KG saß inzwischen in Bad Hersfeld.
Der österreichische IT-Pionier Heinz Zemanek ist am 2. März 1959 dokumentiert; am 13. Juli 1960 schrieb sich der russisch-englische Informatiker Daniel Broido ein, den wir schon im Blog erwähnten. Ein Trupp türkischer Offiziere rückte am 12. April 1962 an, und am 26. Juli erschien das Ensemble der Bad Hersfelder Festspiele mit Intendant William Dieterle. Der 4. Mai 1964 war der Tag, an dem eine sowjetische Delegation die Zuse KG besuchte. Im Herbst 1964 stoppten die Einträge ins Gästebuch. Der Grund dafür waren wahrscheinlich die finanziellen Probleme des Unternehmens, die Konrad Zuse in Anspruch nahmen.
Im September 1977 ging es weiter. Zuse war nun freier Forscher, Maler und Autor, und die Einträge wurden länger und privater („Die gemeinsame Kaffeetafel mit dem hochverehrten Erfinder des ersten programmgesteuerten Rechners Konrad Zuse war ein besonderes Erlebnis“). Im März 1979 und im März 1980 filmte das Fernsehen, und die Besuche nahmen wieder zu. Die Journalisten kamen immer öfter, ebenso Museumsleute wie Ludolf von Mackensen aus Kassel und Hadwig Dorsch aus Berlin. Konrad Zuse erlebte jetzt eine zweite Karriere als der weißhaarige Computervater aus Hünfeld.
Am 7. Juli 1986 trug sich der Münchner Informatikprofessor Friedrich Bauer ein. Literarisch bekannt war der Schweizer Schriftsteller Emil Zopfi, der am 9. März 1988 in Hünfeld eine „Wunsch-Reportage“ verfasste. Vom 24. Mai 1988 ist ein Gruß von Wolfgang Back belegt, einem der beiden Wolfgangs des WDR Computerclub. Bald darauf schloss Konrad Zuse das Gästebuch. Für die Freunde der Computergeschichte bleibt es eine wunderbare Zeitreise, und vielleicht lässt sich einmal eine kommentierte Druckausgabe realisieren.
Es ist traurig, daß das deutsche Patentamt, so versagt und Herrn Zuse kein Patent auf seinen Computer gab.
Eine faszinierende Quelle! Darin steckt viel Zeitgeschichte drin. Die Einträge am Anfang des Buches belegen zudem das große Interesse des nationalsozialistischen Staates und dessen Verbindung zu Konrad Zuse. Zu Besuch waren Hauptfeldwebel, das Oberkommando der Luftwaffe sowie weitere Mitarbeiter des Reichsluftfahrtministeriums, neben Mitarbeitern von Telefunken und der aerodynamischen Versuchsanstalt in Göttingen.
Frohe Weihnachten und ich freue mich auf viele gute weitere Blog-Beiträge im neuen Jahr!
Hadwig Dorsch, Leiterin der Abteilung Datentechnik am Deutschen Technikmuseum, besuchte im Jahre 1989 Konrad Zuse, um bei der Rekonstruktion der Z1 hilfreich zu sein. Es entwickelte sich ein herzliches Verhältnis zwischen Zuse und Dorsch. Dem Direktor des Technikmuseums, Günther Gottmann, missfiel diese enge Freundschaft. Deshalb sandte er eines Tages statt Frau Dorsch den Leiter des Science Centers Spectrum, Otto Lührs, zu Konrad Zuse. Er sollte nun beim Projekt Z1 hilfreich sein. Zuse war enttäuscht. Am Abend kamen zwei Vertreter der Firma Siemens vorbei und man ging zusammen mit den zwei Studenten in ein Restaurant. Lührs, der sowieso die Entsendung absurd fand, wurde nicht eingeladen. Am anderen rief er aus seinem Hotel sowohl Konrad Zuse als auch den Direktor an. Er stellte klar, dass er nicht wiederkommen werde. Der Direktor grollte. Nun fuhr wieder Hadwig Dorsch regelmässig nach Hünfeld. Später baute Zuse seine Z1 im Technikmuseum auf, Lührs und Zuse trafen sich erneut. Lührs erklärte die vormalige Situation und Zuse verstand die Reaktion. „Hätte ich auch so gemacht“, war seine Reaktion. Zuse und Gottmann verstanden sich nicht sonderlich. Gottmann mochte Techniker nicht.
Belegt ist auch eine Begegnung des genialen Wiener Ingenieurs Curt Herzstark, der die weltberühmte mechanische Taschenrechenmaschine Curta erfand. Das Treffen fand am 31. Oktober 1958 an der TH Braunschweig statt