1964 – Transistorrechner auf dem Tisch
Geschrieben am 15.03.2024 von HNF
Ab den späten 1950er-Jahren verbreiteten sich Computer mit Transistoren in vielen Ländern. 1964 erschienen Tischrechner mit jenem Bauelement. Der wohl erste war die IME 84 aus Italien; der Hersteller Industria Macchine Elettroniche saß in der Stadt Pomezia nahe Rom. Aber auch Firmen in den USA und in Japan brachten damals solche Rechner in den Handel.
Der Transistor, erfunden 1947, ist das wichtigste Bauelement der Elektronik. Ein namenloser Transistorcomputer lief 1953 in Manchester; 1959 kamen bekannte Typen wie die IBM 1401 oder die Siemens 2002. Zur gleichen Zeit schufen Jack Kilby und Robert Noyce in den USA integrierte Schaltungen; sie führten zum Mikrochip und zur heutigen Datentechnik. In den 1960er-Jahren wurden aber noch oft separate oder „diskrete“ Transistoren verwendet.
Sie steckten ebenso in der IME 84. Die Industria Macchine Elettroniche S.p.A. präsentierte sie im April 1964 auf einer Industriemesse in Mailand; sie war wahrscheinlich die erste Tischrechenmaschine mit Transistoren. Entwickelt hatte sie der 1929 geborene Ingenieur Massimo Rinaldi. Er gründete 1959 in Pomezia südlich von Rom die Firma Transimatic. Nach einigen Jahren schloss sich Rinaldi der finanzstärkeren IME an; so hieß dann sein Produkt. Das ist eine deutsche Anzeige für die IME 84, wir sehen sie außerdem im Eingangsbild.
Die IME 84 beherrschte die Grundrechenarten und das Potenzieren und zeigte die Resultate mit sechzehn Nixie-Röhren an. Auf 33 Platinen verteilten sich 424 Germanium-Transistoren und 1.074 Dioden. In der Bundesrepublik kostete der Rechner 4.750 DM, ein paar hundert Mark mehr als der billigste Volkswagen. An die Version IME 84 RC – das Kürzel bedeutete „Remote Control“ – ließen sich vier weitere Input-Output-Module anschließen. Ein anderes Peripheriegerät, der Digicorder, ermöglichte das Ausführen von Rechenprogrammen.
Fotos von der Herstellung der IME-Maschinen finden sich hier. Auf die IME 84 folgte die IME-86-Familie – das ist eine informative Internetseite darüber – und die IME 26. Ihr Display umfasste nur zwölf Nixie-Röhren. Dokumente zu den Rechnern kann man auf dieser Seite herunterladen, bitte etwas scrollen. Die weitere Geschichte der Firma IME erzählt die italienische Wikipedia. In den späten 1970er-Jahren löste sich das Unternehmen auf. Massimo Rinaldi verließ es schon 1969; er gründete die Firma INSEL, die er dann in MAEL umbenannte. 1982 wurde sie von Olivetti übernommen. Rinaldi starb 2009 in Rom.
Tischrechner mit Transistoren entstanden 1964 nicht nur in Italien. Im April 1964 stellten die Wyle Laboratories in El Segundo bei Los Angeles die Rechenmaschine WS-01 vor. Sie besaß Germanium-Transistoren und eine Magnetplatte, um Zahlen aufzunehmen. Sie funktionierte aber schlecht; noch 1964 kam das Modell WS-02 mit einem Verzögerungsspeicher heraus. Die Eingaben und die Ergebnisse erschienen auf einer Kathodenstrahlröhre. Aus der Rechenmaschinen-Abteilung von Wylie ging später die Firma Compucorp hervor.
Einen Fernsehschirm hatte auch die Friden EC 130. Der traditionsreiche amerikanische Hersteller brachte sie im Mai 1964 auf den Markt. Hier steht mehr zu ihrer Technik, das ist das fast 300 Seiten starke Patent. Diese Seite beschäftigt sich mit ihrem Chefkonstrukteur Robert Ragen (1928-2012). Das Nachfolgemodell EC 132 lag im April 1965 vor. Es konnte Quadratwurzeln ziehen, doch beherrschte diese Kunst schon 1952 die mechanische Friden SRW. 1965 wurde die Firma ein Teil des Singer-Konzerns und bot Geräte aus Japan an.
Elektronische Rechenmaschinen aus Fernost konnte man aber bereits im Juli 1964 kaufen. Die Compet CS-10A stammte aus der Sharp Corporation in Osaka – damals trug sie noch den Namen Hayakawa. Das Design der Maschine mit der Volltastatur erinnerte an die englische Anita, die noch mit sogenannten Kaltkathodenröhren rechnete. Die Compet CS-10A enthielt dagegen 530 Germanium-Transistoren und 2.300 Dioden. Die Nachfolgerin CS-20A von 1965 war etwas eleganter gestylt und verwendete auch Transistoren aus Silizium.
Unser letzter Tischrechner aus dem Jahr 1964 soll die Canon Canola 130 sein. Der in Tokio ansässige Hersteller brachte sie im Oktober heraus. Ihre 545 Transistoren bestanden aus Germanium, die Resultate zeigte die Maschine mit aufeinander liegenden Glasplättchen an. Darin waren Ziffern eingraviert, die kleine Glühbirnen zum Leuchten brachten. Die Canola 130 sah nicht gerade windschnittig aus, das Modell 130S war flacher und hatte eine durchsichtige Vorderfront. Aber Tischrechenmaschinen sind ja keine Sportwagen.