400 Jahre Schickard-Maschine

Geschrieben am 19.09.2023 von

1623 erfand der Tübinger Gelehrte Wilhelm Schickard ein Addiergerät mit Zahnrädern und mit Zylindern, die das Einmaleins trugen. Es war die erste Rechenmaschine; die beiden gebauten Exemplare gingen leider verloren. Erhalten blieben aber Schriftstücke mit Bildern und Beschreibungen. Am 20. September 1623 erwähnte Schickard seine Maschine zuerst in einem Brief an den Astronomen Johannes Kepler.

„Was Du errechnet hast, das habe ich jüngst auf mechanischem Weg versucht und eine Maschine mit elf vollständigen und sechs verstümmelten Rädchen gebaut, die gegebene Zahlen sogleich automatisch verarbeitet ( computet ): addiert, subtrahiert, multipliziert und dividiert. Du würdest lachen, wenn Du sehen könntest, wie sie die Stellen links, wenn es über einen Zehner oder Hunderter weggeht, von selbst erhöht oder beim Subtrahieren ihnen etwas wegnimmt.“

Das steht in einem Brief, den Wilhelm Schickard am 20. September 1623 verfasste; das Original ist in Latein. Er lehrte Hebräisch in der Universität Tübingen und interessierte sich auch für Mathematik und Himmelskunde. Das Schreiben ging an den mit ihm befreundeten Astronomen Johannes Kepler, der im österreichischen Linz wohnte. In einer weiteren Post vom 24. Februar 1624 teilte Schickard Einzelheiten zu seinem „arithmetischen Gerät“ mit. Der Brief vom September 1623 ist so etwas wie die Geburtsurkunde der Rechentechnik.

Wilhelm Schickard 1632 mit seinem Handplanetarium (Gemälde von Conrad Melperger)

Wilhelm Schickard wurde am 22. April 1592 als Sohn eines Schreiners in Herrenberg nahe Tübingen geboren; sein Onkel Heinrich Schickhardt brachte es bis zum Hofbaumeister des Herzogtums Württemberg. Wilhelm absolvierte Schulen in Herrenberg und in Bebenhausen; 1611 erhielt er den Magister der Universität Tübingen. Danach studierte er Theologie und wurde 1614 Diakon in Nürtingen südöstlich von Stuttgart. Dort traf er 1617 den aus Österreich angereisten Johannes Kepler. Für Keplers 1619 erschienene Weltharmonik schuf Wilhelm Schickard Kupferstiche und Holzschnitte.

Im gleichen Jahr wurde er als Hebräisch-Professor nach Tübingen berufen; daneben hatte er einen Lehrauftrag für Mathematik und ihre Nachbargebiete. 1623 erfand er sein Rechengerät und ein Astroscopium mit Sternkarten des Nord- und Südhimmels. Ab 1624 widmete er sich auch der Landvermessung. Ab 1631 unterrichtete Schickard Astronomie; das Gemälde zeigt ihn mit einem Handplanetarium. 1634 erfasste der Dreißigjährige Krieg Württemberg, und die Truppen des Kaisers brachten die Pest nach Tübingen. Schickards gesamte Familie fiel ihr zum Opfer, er selbst starb daran am 23. Oktober 1635.

Die seit 1912 bekannte Schickard-Skizze seiner Rechenmaschine. Es ist unklar, ob sie ein tatsächlich realisiertes Gerät darstellte. Sie besitzt fünf Zylinder.

Heute feiern wir Wilhelm Schickard als Schöpfer der ersten Rechenmaschine. Sie umfasste ein Addier- und Subtrahierwerk für sechsstellige Eingaben, einen ebenso langen Speicher mit Einstellrädern und sechs aufrecht stehende Zylinder mit den Zahlen des Einmaleins. Hier ließ sich Schickard durch die Neperschen Stäbchen inspirieren. Die Zahlen erscheinen in den Fenstern von neun waagrechten Schiebern. Rekonstruktionen wie die im Eingangsbild oben verwenden nur acht. Die Benutzung der Maschine beschrieben wir bereits im Blog.

1623 vollendeten Schickard und sein Mechaniker das erste Modell, das verschollen ist. Ein zweites für Johannes Kepler wurde im Februar 1624 bei einem Werkstattbrand zerstört. Da Schickard seine Erfindung nie publizierte, galt lange das Addiergerät von Blaise Pascal – es entstand in den 1640er-Jahren – als die erste Rechenmaschine. 1718 gab Michael Gottlieb Hansch Briefe von und an Kepler heraus, darunter die Schreiben von Wilhelm Schickard. Das vom September 1623 findet sich hier in der rechten Spalte, das zweite folgt direkt danach.

Diese Zeichnung sandte Schickard im Februar 1624 an Johannes Kepler; sie wurde 1935 in seinem Nachlass entdeckt. Man erkennt sechs Zylinder und neun Schieber.

Völlig vergessen war die Rechenmaschine also nicht. 1912 publizierte der Geodät Albert Georgi eine Zeichnung, die vielleicht einen Entwurf von Schickard zeigte, und eine Notiz für seinen Mechaniker. Er wusste aber nichts von den Briefen; sein Artikel blieb unbeachtet. 1935 entdeckte dann der Bibliothekar Franz Hammer eine zweite Schickard-Zeichnung der Maschine; sie befand sich unter den Papieren von Johannes Kepler, die im 18. Jahrhundert an die Russische Akademie der Wissenschaften verkauft wurden. Seinen Fund machte Hammer allerdings erst 1957 bekannt.

Nun ging alles sehr schnell. 1959 schufen der französische Mathematikhistoriker Jean-Paul Flad und der belgische Ingenieur Paul Lefèbvre die erste Rekonstruktion einer Schickard-Maschine. Das kanonische Modell ist das des Philosophen Bruno von Freytag-Löringhoff von 1960. Kopien stehen in diversen Technikmuseen, auch das HNF zeigt eine. 1973 brachte die Bundespost eine 40-Pfennig-Marke mit Schickards Maschine heraus. Vierhundert Jahre nach ihrer Erfindung erschienen eine neue Briefmarke für 85 Cent und eine Sammlermünze im Wert von zwanzig Euro.

Die sechs Zylinder der Schickard-Maschine: Jeder trägt das kleine Einmaleins.

Eine gute Einführung in die Maschine und ihre Details liefert eine PDF-Broschüre von 1999; sie enthält auch Übersetzungen der Briefe Schickards an Kepler. Mehrere Videos und einen Simulator – bitte jeweils die Pfeile anklicken – bringt diese Internet-Seite. Wer JavaScript auf der Festplatte hat, kann hier mit einer Schickard-Maschine rechnen. Der Computerhistoriker Friedrich Kistermann beschrieb 2001 ihre Bedienung in englischer Sprache. Jürgen Weigert vom Verein Fablab Nürnberg verdanken wir eine neue Rekonstruktion. Das Arithmeum in Bonn zeigt noch bis zum 14. Oktober eine Sonderausstellung.

Eine Schickard-Biographie in Buchform existiert nicht, ein Sammelband erschien aber 1978. Online ist eine Vita von 1792 mit Schriftenverzeichnis. Zu Schickards Leben und Werk gäbe es noch einiges zu entdecken, etwa seine Gemälde in der Kirche von Gärtringen. Der Ort liegt direkt neben Ehningen, dem Sitz der IBM Deutschland GmbH. Schließen möchten wir mit einer Zeichnung aus seinem Nachlass, den die Württembergische Landesbibliothek verwahrt. Sie zeigt ein unbekanntes Rechengerät für Additionen und Subtraktionen:

Mehr über die Funktionsweise der Schickardschen Rechenmaschine bietet ein Video. Mathematikum-Gründer Prof. Dr. Albrecht Beutelspacher und HNF-Geschäftsführer Dr. Jochen Viehoff stellen sie ausführlich vor.

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Ein Kommentar auf “400 Jahre Schickard-Maschine”

  1. Am Freitag, dem 13.10. wird Schickards Erfindung in der „Tag und Nacht des Rechnens“ im Mathematikum in Gießen gefeiert:

    https://www.mathematikum.de/veranstaltungen/tag-und-nacht-des-rechnens

    Unter anderem kann man auch ein 3-stelliges Funktionsmodell der Maschine aus fischertechnik bauen.

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