Das war Gary Kildall
Geschrieben am 09.09.2016 von HNF
Der 1942 geborene und 1994 verstorbene Amerikaner Gary Kildall war der erste große Innovator der Mikrocomputer-Software. Von 1973 bis 1974 entwickelte er das Betriebssystem CP/M. Seine Firma Digital Research war jahrelang der wichtigste Software-Lieferant. In den 1980er-Jahren moderierte Kildall eine Computer-Serie im Fernsehen. Seit Kurzem liegt ein langer Ausschnitt aus seiner Autobiographie im Internet vor.
Vor zwei Wochen behandelten wir den Geburtstag von Linux. Heute kommen wir erneut zum Thema Betriebssysteme. Anlass ist kein Jubiläum, sondern ein Text, den das amerikanische Computer History Museum am 3. August ins Internet setzte. Es ist ein umfangreicher Ausschnitt aus den Memoiren von Gary Kildall und somit eine Primärquelle zur Frühzeit des Mikrocomputers.
Wer war Gary Kildall? Geboren wurde er am 19. Mai 1942 in Seattle, der Großstadt am Pazifik im Nordwesten der USA. Die Familie betrieb eine Fachschule für die Seefahrt. Nach dem Ende seiner High School-Zeit unterrichtete Kildall zuerst an der Schule, dann wechselte er auf die ortsansässige Universität. Hier studierte er Mathematik und Informatik. Er arbeitete mit einer Marchant-Rechenmaschine, aber ebenso mit den Mainframe-Computern IBM 7094 und Burroughs B5500.
Um dem Vietnamkrieg zu entgehen, leistete Gary Kildall den Militärdienst bei der US Navy ab. Er fuhr nicht zur See, sondern wurde Dozent an einer Marine-Hochschule in Monterey. Das liegt an der kalifornischen Küste südlich des Silicon Valley. 1972 machte er den Doktor. Neben der Dozententätigkeit arbeitete er als Berater für die Chipfirma Intel. Er befasste sich mit den Mikroprozessoren Intel 4004 und Intel 8080 und mit der Frage: Wie macht man aus solchen Chips einen richtigen Computer?
Dazu brauchte man vor allem ein Betriebssystem, das zum Beispiel die Kooperation zwischen einem Prozessor und einem Diskettenlaufwerk regelt. Kildall schrieb 1973 und 1974 eine solche Software und nannte sie ein Steuerungsprogramm für Mikrocomputer. Die englische Bezeichnung „Control Program for Microcomputers“ führte zum Kürzel CP/M. Das Betriebssystem war mehr oder weniger unabhängig vom Computer, auf dem es lief. Einzige Voraussetzung war ein 8-bit-Prozessor von Intel oder ein kompatibler Chip wie der Zilog Z80.
1975 übernahm die IT-Firma Omron CP/M für ihre Terminals. 1976 stattete der Computerhersteller IMSAI 8-bit-Rechner damit aus. Es folgten Osborne, Kaypro und Commodore; später kam Amstrad hinzu. Unabhängige Entwickler schrieben CP/M-basierte Programme für Textverarbeitung und für Datenbanken. Auch Apple-Computer vertrugen das Betriebssystem, wenn man eine „Softcard“ mit Z80-Chip einsteckte. Ihren Entwickler Tim Paterson stellten wir schon im Blog vor.
In den 1970er-Jahren wurde CP/M zum Standard für kleine Computer. Gary Kildall und seine Ehefrau Dorothy McEwen gründeten in Monterey die Firma Intergalactic Digital Research – das kosmische Adjektiv fiel bald wieder weg. 1980 hatte sie 20 Angestellte und einen Umsatz von 3,5 Millionen Dollar. 1982 nahm Digital Research 20 Millionen Dollar ein. In Achtzigern brachte sie weitere innovative Produkte heraus, doch verschärfte sich der Konkurrenzkampf. 1991 verkaufte Gary Kildall, inzwischen von Dorothy geschieden, Digital Research an die Novell Inc.
Er zog dann nach Texas und versuchte sich in der Medientechnik. In Monterey hatte er einen zweiten Wohnsitz. Bei einem Unfall in einem dortigen Lokal erlitt er eine Schädelverletzung, die zu spät erkannt wurde. Er starb am 11. Juli 1994 im Krankenhaus. Im April 2014 wurde am Gebäude seiner alten Firma eine Gedenktafel enthüllt. Sie würdigt das Betriebssystem CP/M und das „Basic Input/Output System“ BIOS, ein wichtiger Teil der Software. Auch das BIOS ist eine Kildall-Erfindung.
Von 1983 bis 1990 moderierte Gary Kildall zusammen mit dem Produzenten Stewart Cheifet die Fernsehserie „The Computer Chronicles“. Sie stellte jede Woche neue Produkte aus der IT-Szene vor, alle Folgen sind online. 1993 schrieb er einen langen autobiographischen Text mit dem Titel „Computer Connections“. Fünfzig gebundene Kopien gab er an Kollegen, Freunde und Verwandte weiter. Eine Druckausgabe von einem Verlag wurde durch seinen frühen Tod verhindert.
Seit dem 3. August kann jeder nachlesen, was Gary Kildall zu Papier brachte. Die Online-Ausgabe auf der Website des Computer History Museum basiert auf dem Exemplar, das seine Tochter zu Weihnachten 1993 erhielt. Die 78 pdf-Seiten enthalten aber kaum die Hälfte des Originaltextes, der 232 Seiten stark war. Diese Zahl findet man auf der Seite einer Auktion von 2009. Dort steht auch – im zweiten Fensterchen links – das Vorwort, das die nun veröffentlichte Ausgabe unterschlägt.
Wer die „Computer Connections“ herunterlädt, verpflichtet sich, nichts über den Inhalt zu verraten. Wir bitten also unsere Leser, nach dem Download die Seiten selbst zu studieren – es lohnt sich. Schon 1994 veröffentlichte eine Zeitung einige Sätze daraus, die kritisch auf Bill Gates eingehen. Sie finden sich nicht in der Online-Version, und wir können sie auf Deutsch zitieren: „Er ist ein Spalter. Er ist ein Manipulator. Er nutzt Menschen aus. Er hat viel von mir und aus der Industrie übernommen.“
Die zensierten „Computer Connections“ enden 1978. Dem Leser entgeht deshalb ein IT-historisches Ereignis aus dem Jahr 1980, das Treffen von Gary Kildall und seiner Frau mit Abgesandten von IBM. Die Computerfirma suchte ein Betriebssystem für den neuen IBM PC. An besagtem Tag kehrte Kildall erst am Nachmittag von einer Geschäftsreise zurück, doch einigte man sich im Prinzip. Als der PC 1981 auf den Markt kam, bot IBM für ihn auch CP/M an – zum Preis von 240 Dollar. Für das Betriebssystem von Microsoft verlangte Mother Blue nur 40 Dollar. Der Rest ist Geschichte.
Trotz aller Kürzungen bietet das nun vorliegende Werk einen faszinierenden Einblick in das Denken und Handeln eines echten Computerpioniers. Wer noch mehr von Gary Kildall lesen möchte, findet hier einen Zeitschriftenartikel von 1980 über die Geburt von CP/M.