Der Computer wird persönlich

Geschrieben am 18.02.2016 von

Der vorletzte Beitrag des Blogs behandelte den großen Elektronenrechner ENIAC, der 1946 viel Aufsehen erregte. Drei Jahre später beschrieb der Mathematiker Edmund Berkeley in dem Buch „Giant Brains“ den Relais-Computer Simon. Er war das erste in einer Folge kleinerer Systeme aus den USA und aus Europa, die 1977 zum modernen Personal Computer führten.

Im Jahr 1949 verfasste der amerikanische Mathematiker Edmund Berkeley das Buch „Giant Brains“, die erste für Laien gedachte Einführung ins neue Gebiet der elektronischen Rechenanlagen. Neben den schon im Titel genannten Riesenhirnen beschrieb es auch ein kleines mit dem Namen Simon, den der Autor aus dem englischen Kinderlied Simple Simon übernahm. Es vermittelte die Grundprinzipien eines Computers und war mehr oder weniger eine Turing-Maschine mit Relais.

Ein Jahr später zierte ein echter Simon das Oktober-Heft 1950 der Zeitschrift Radio-Electronics. Berkeley hatte seine Idee in Hardware umgesetzt und ein koffergroßes Gerät gebaut, das von 0 bis 3 zählte und fünf Glühbirnen für Ausgaben besaß. Daten und Befehle – es gab vier Stück – wurden per Lochstreifen oder durch fünf Tasten eingegeben. Das Magazin erläuterte Simon in einer Serie mit 13 Artikeln, ein weiterer erschien schon im November 1950 im vielgelesenen Scientific American.

Olivetto programma 101 (Foto Museo Nazionale della Scienza e della Tecnologia Mailand)

Olivetti Programma 101 (Foto Museo Nazionale della Scienza e della Tecnologia, CC BY-SA 4.0)

Mindestens eine IT-historische Website führt Simon als ersten Personal Computer, also als einen programmgesteuerten und speicherfähigen Rechner, der einem einzelnen Benutzer für viele Zwecke und zu einem moderaten Preis zur Verfügung steht. Er war aber eher ein Spiel- oder Lerncomputer, von denen noch ein halbes Dutzend auf den Markt kamen. Zu nennen sind der GENIAC von 1955 und der Minivac 601 von 1961, der Arkay CT-650 aus dem Jahr 1969 sowie der westdeutsche Logikus (1968) und sein DDR-Vetter Piko dat (1969). Analogfans konnten sich ab 1959 dem Heathkit EC-1 widmen.

1964 stand der „Personal Computer“ wohl zum ersten Mal in einer Fachzeitschrift. Der IBM-Forscher Arthur Samuel, der 1956 durch ein Programm für das Dame-Spiel bekannt wurde, verwendete den Ausdruck im englischen New Scientist vom 27. Februar 1964. Sein Artikel war einer von mehreren über „Computers in 1984“, also eine Zukunftsvision. Bald darauf erschienen aber zwei reale Rechner, die später als Personal Computer bezeichnet wurden: die Olivetti Programma 101 aus Italien und der D4a aus der DDR, die beide mit Transistoren arbeiteten.

Kleincomputer D4a aus Dresden

Kleincomputer D4a aus Dresden. (Foto: Jan Braun, HNF)

Die Programma war die Sensation der New Yorker Weltausstellung von 1964. Sie besaß ein Druckwerk und einen Laufzeitspeicher; die zehn Register umfassten jeweils 24 Plätze zu 8 bit und nahmen Befehle oder Zahlen auf. Auf die externen Magnetkarten passten 120 Befehle, zu denen auch ein bedingter Sprung gehörte. Der Preis von 3.500 Dollar sorgte dafür, dass ab 1965 über 35.000 Rechner verkauft wurden. Bei uns kostete die schöne Italienerin rund 15.000 DM.

Der Star auf der Leipziger Herbstmesse 1965 war der D4a des Dresdner Computerpioniers Nikolaus Lehmann. Er war nur so groß wie ein Fernsehgerät und führte 1.900 Grundoperationen pro Sekunde durch. Der D4a ging 1969 in abgeänderter Form als Cellatron 8205 in Serie. In der Folgezeit wurden 3.000 Anlagen verkauft. Allerdings dürften alle in die Produktion, die Forschung und die Verwaltung gewandert sein, denn die DDR tat sich stets schwer mit der privaten Nutzung von Computern.

Noch kleiner: Kenbak-1 (Foto Computer History Museum)

Kleiner und persönlicher: der Kenbak-1 (Foto Computer History Museum)

Zwischen 1965 und 1975 finden wir Systeme, die sich auf unterschiedlichen Wegen dem Personal Computer annähern. Das können anspruchsvolle Tischrechner sein (Wang 300 und 700, HP 9100, 9100A und 9830), vielseitige Büromaschinen (Wanderer conti, Diehl Combitron), intelligente Terminals (Datapoint 2200, Cogar C4) oder abgespeckte Minicomputer (Xerox Alto, Wang 2200, IBM 5100). Bemerkenswert sind auch die frühen Mikros Micral-N, SCELBI-8H und Mark-8 sowie der Kenbak-1 von 1971, der noch auf diskreten Logikchips basierte.

Wenn man die belegte Fläche einmal außer Acht lässt, darf man ebenso die programmierbaren Bürorechner von Heinz Nixdorf zu den Vorläufern der Personal Computer zählen. Sein Labor für Impulstechnik lieferte 1965 an Wanderer das Modell Logatronic. Nach Gründung der Nixdorf Computer AG wurde daraus die höchst erfolgreiche Nixdorf 820. Auf der Hannover Messe 1980 sah die Firma allerdings den kleinen LK 3000 als ihren Personal Computer an, denn – wir zitieren die Computerwoche – „Sie können ihn persönlich benutzen“.

Persönlichkeit mit Platzbedarf: Nixdorf 820

Persönlichkeit mit Platzbedarf: Nixdorf 820. (Foto: Jan Braun, HNF)

Spannend wurde es dann 1975 und 1976. Damals verbreiteten sich der berühmte Altair 8800 und sein Nachahmer IMSAI 8080, aber auch Einplatinenrechner wie KIM-1, AIM 65 und der noch berühmtere Apple 1. Und damit wären wir im annus mirabilis 1977, das uns gleich drei Computer bescherte, die wir ohne Bedenken persönlich nennen können: den Commodore PET 2001, den Tandy TRS-80 und den Apple II. Das gilt auch dann, wenn man an den IBM PC von 1981 denkt, mit dem Mother Blue letztlich erfolgreich den Begriff des Personal Computers für sich besetzte.

Ungeklärt ist aber die Frage, wer oder was der erste dieser Art war. Die Antwort möchten wir den Lesern überlassen, aber noch einen Kandidaten vorstellen. Der LINC ist ein amerikanischer Minicomputer aus den frühen 1960er-Jahren und diente der akademischen Forschung, doch die Programmiererin Mary Wilkes durfte 1965 ein Exemplar in ihrer Wohnung in Baltimore installieren und daran arbeiten. Ein baugleicher LINC steht – siehe unten –in der Ada-Lovelace-Ausstellung des HNF, und er wurde, worüber wir uns sehr freuen, von Frau Wilkes persönlich besichtigt.

Das Eingangsbild zeigt den Rechenautomaten Nixdorf-Conti (Foto: Jan Braun, HNF).

Persönlicher Minicomputer LINC mit kleinem Bildschirm

Persönlicher Minicomputer LINC mit kleinem Bildschirm. (Foto: Jan Braun, HNF)

 

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2 Kommentare auf “Der Computer wird persönlich”

  1. Heinz Nixdorf forderte sogar präzise, der Rechner (des Systems 820) müsse in die „linke untere Schublade eines Schreibtisches“ passen. Der Sachbearbeiter sollte seine persönliche Rechenleistung vor Ort haben.

  2. Danke echt für den Artikel, denn man sollte echt wenigstens eine kleine Geschichte von Computern wissen, und wie sie sich entwickelten…

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