Der erste Kleincomputer
Geschrieben am 28.07.2017 von HNF
1956 erschien in den USA der Röhrenrechner LGP-30. Er kostete 47.000 Dollar und besaß die Größe einer Tiefkühltruhe. Konstrukteur war der Physiker Stanley Frankel; er hatte im Krieg die Rechenarbeit des amerikanischen Atombombenprojekt geleitet. Der LGP-30 öffnete den Weg zu immer kleineren Computern. Ab 1958 baute ihn die Mindener Firma Schoppe & Faeser in Lizenz.
Die 1950er-Jahre gelten als das Jahrzehnt der großen Computer, auch Mainframes genannt. Sie waren mit Elektronenröhren gefüllt und besaßen schnell rotierende Trommelspeicher. Mit Ausmaßen von Kleiderschränken beeindruckten sie ihre menschlichen Zeitgenossen. Im Blog stellten wir einen der größten vor, den amerikanischen Univac I. Er kostete sieben Millionen DM und wurde im Oktober 1956 in einem Frankfurter Rechenzentrum installiert.
Nur einen Monat vorher bewies ein Computer, dass es auch anders ging. Im September 1956 brachte die kalifornische Technikfirma Librascope den Rechner LGP-30 heraus. Er enthielt 113 Röhren und 1.350 Germanium-Dioden. Mit Maßen von 112 x 66 x 84 Zentimetern war er etwa so groß wie ein Schreibtisch oder eine Tiefkühltruhe. Dazu kam ein Schreibautomat des Herstellers Friden, eine Kombination von elektrischer Schreibmaschine, Lochstreifenleser und Lochstreifenstanzer, sowie ein weiteres Lochstreifenmodul.
Als Arbeitsspeicher diente eine Magnettrommel, die mit 3.600 Umdrehungen pro Minute rotierte. Sie fasste 4.096 Worte zu 32 bit, also 16 Kilobyte. Die Taktfrequenz betrug 137 Kilohertz, die Zugriffszeit lag zwischen zwei und fünfzehn Millisekunden. Eine Addition wurde in einer Viertel Millisekunde erledigt, eine Multiplikation in 15 Millisekunden. Zum Schreiben von Programmen bot der Computer 16 Befehle an. Im Übrigen wog er 365 Kilo ohne die Peripheriegeräte und kostete 47.000 Dollar, was 200.000 DM entsprach.
Das war immer noch eine schöne Stange Geld, doch für manche Universität in Amerika war der LGP-30 der erste Computer. So stellte das traditionsreiche Dartmouth College im US-Bundesstaat New Hampshire 1959 ein Gerät auf und erlaubte sogar die Benutzung im Grundstudium. Die verantwortlichen Dozenten John Kemeny und Thomas Kurtz erfanden später die Programmiersprache BASIC. Insgesamt konnte Librascope rund 500 Rechner absetzen. Der Nachfolger, der volltransistorisierte LGP-21, kam 1963 auf den Markt.
Schöpfer des LGP-30 war Stanley Frankel. 1919 in Los Angeles geboren, studierte er Physik und promovierte an der Universität von Kalifornien in Berkeley. Anschließend arbeitete er für den Atomforscher Robert Oppenheimer. Dieser leitete ab 1943 das berühmte Labor in Los Alamos im Bundesstaat New Mexico, das die Atombombe entwickelte. Frankel folgte ihm und übernahm das Rechenzentrum. Dort mühten sich Rechnerinnen, die „computers“, an handelsüblichen Tischgeräten. Später kamen Lochkartenmaschinen hinzu.
Nach Kriegsende zählte Frankel zu den ersten Nutzern des Elektronengehirns ENIAC. Für den Physiker Edward Teller untersuchte er die Realisierbarkeit einer Wasserstoffbombe. Danach widmete er sich in Kalifornien Forschungsaufträgen für das Militär. 1949 wurde ihm aber der überlebenswichtige Sicherheitsstatus entzogen. Hilfe brachte eine Anstellung im California Institute of Technology in Pasadena, wo er 1954 einen einfachen Elektronenrechner namens MINAC – Minimal Automatic Computer – baute.
Der LGP-30 von 1956 war die kommerzielle Ausgabe des nur als Prototyp vorliegenden MINAC. Nach der Entwicklung des Serienmodells arbeitete Frankel als freier Industrieberater. Sein letzter bekannter Auftrag war die Elektronik für die Tischrechner-Serie Combitron, Combitron-S, Decitron und Sigmatron. Die Nürnberger Firma Diehl fertigte sie in den 1960er-Jahren. Sie operierten mit Transistoren, aber auch mit kleinen Rechenprogrammen, die in einem Laufzeitspeicher zirkulierten.
Ab 1958 wurde der LGP-30 in Lizenz vom Mindener Hersteller Schoppe & Faeser gefertigt und von der Firma Eurocomp verkauft. Er war damit der erste Computer aus Nordrhein-Westfalen. Insgesamt entstanden 50 Stück. Das Eingangsfoto zeigt, allerdings ohne Peripheriegeräte, das Exemplar des HNF (Foto: Jan Braun, HNF). Weitere Rechner finden sich im Computermuseum Stuttgart und im technikum29 bei Frankfurt. Seinem Leiter Heribert Müller danken wir für die Erlaubnis, die beiden Fotos des Innenlebens verwenden zu können.
Stanley Frankel starb im Mai 1978 in Los Angeles. Sein LGP-30 eröffnete den Reigen der Elektronenrechner unterhalb der Großcomputer oder Mainframes, die ab den 1960er-Jahren als Minis bezeichnet werden. Schon 1956 erschien neben dem LGP-30 der gleichfalls in Kalifornien gebaute Bendix G-15; 1957 folgte der IBM 610 der bekannten Firma. Der wegweisende Minicomputer mit Transistoren war natürlich 1965 die PDP-8 von Digital Equipment. Aber auch schon im Röhrenzeitalter galt „Small is beautiful“.