Der Kaffee ist fertig

Geschrieben am 21.11.2023 von

Nach Silizium ist der zweitwichtigste Stoff für Informatiker das Coffein; es kommt als Bohnenkaffee aus Kaffeemaschinen. Eine solche stand im Computerlabor der Universität Cambridge. 1991 verbreitete eine Videokamera den Füllstand über ein lokales Netz, am 22. November 1993 gingen ihre Bilder ins Internet. 2001 ersteigerte SPIEGEL ONLINE die Kaffeemaschine; seit 2016 steht sie im HNF.

1969 zog das Computerlabor der Universität Cambridge um. Es verließ die alte Adresse, das ehemalige Anatomie-Institut der Hochschule, und wechselte in ein brandneues Gebäude, das Arup Building. Der Name drückt die Tatsache aus, dass es die gleichnamige Baufirma errichtet hatte. Das Arup-Haus war groß und hoch, die Uni-Angestellten saßen verstreut und mussten manchmal lange Wege zurücklegen, um von einem Büro ins andere zu kommen.

Das galt auch für die etwa fünfzehn Mitglieder der Arbeitsgruppe für Computersysteme. Sie zog es gelegentlich zu der Kaffeemaschine, die sich im zweiten Stock des Hauses neben dem „Trojan Room“ befand. Immer wieder kam es vor, dass Kaffeedurstige aufbrachen und vor einer leeren Kanne standen. Zwei Angehörige der Arbeitsgruppe, Paul Jardetzky und Quentin Stafford-Fraser, wollten das 1991 ändern. Damals wurden Computer im Gebäude bereits durch ein lokales Netzwerk nach dem ATM-Standard verknüpft.

Zwei Aufnahmen aus den Anfängen und vom Ende des „Trojan Room Coffee Pot“ (Fotos Daniel Gordon, Martyn Johnson, Quentin Stafford-Fraser CC BY-SA 3.0)

Aus nicht mehr benutzter Hardware bastelten die beiden Informatiker eine Video-Anlage. Eine CCD-Kamera von Philips beobachtete die Kaffemaschine. Ihre Bilder wurden von einem Framegrabber erfasst und einem 32-Bit-Computer des Typs Acorn Archimedes zugeleitet. Der verteilte sie dann im lokalen Netz, oder wie Quentin Stafford-Fraser 1995 schrieb: „Das Bild wurde nur dreimal pro Minute updgedatet, aber das war in Ordnung, da sich die Kanne langsam füllte, und es war grau in grau, doch diese Farbe hatte auch der Kaffee.“

Die Anlage lief ab November oder Dezember 1991. Anfang 1992 sah der Netzpionier Robert Metcalfe die Kaffeemaschine und schrieb darüber in der Zeitschrift Communications Week. Ein Jahr später veröffentlichte der amerikanische Informatik-Student Marc Andreessen die Urfassung vom Mosaic-Browser; im März 1993 lag eine Version mit Bildern vor. Davon erfuhr auch das Computerlabor in Cambridge. Die beiden Mitarbeiter Daniel Gordon und Martyn Johnson stellten nun das Videosystem des „Trojan Room“ auf das World Wide Web um.

Quentin Stafford-Fraser im Jahr 2007 (Foto tara hunt CC BY-SA 2.0)

Ab dem 22. November 1993 konnte die gesamte Internet-Gemeinde das Auf und Ab in der Kaffeekanne miterleben. Am 11. November 1994 berichtete das Radio; damals gab es im Netz 150.000 Zuschauer. 1996 wurde die Millionengrenze überschritten, im Mai 1998 zählte das BBC-Fernsehen zwei Millionen, bitte zu Minute 1:25 gehen. Die Videokamera des „Trojan Room“ war die erste Webcam der Welt und machte die Technik populär. Immer wieder erschienen Fernsehreporter, und Quentin Stafford-Fraser stellte eine Folge von Fotos aus ihren Filmen zusammen. Weitere Clips finden sich unten auf dieser Seite.

Im Jahr 2001 bezog das Computerlabor eine neue Adresse, das William Gates Building am Stadtrand von Cambridge. Es ist nach dem Vater von Bill Gates benannt und besitzt eine luxuriöse Gastronomie. Die alte Kaffeemaschine wurde im März des Jahres stillgelegt; die Kamera verschwand am 22. August 2001. Das letzte Bild zeigt die Finger von Daniel Gordon, Martyn Johnson and Quentin Stafford-Fraser beim Ausknipsen des Archimedes-Computers. Schon am 8. März 2001 brachte SPIEGEL ONLINE ein kurzes Interview mit Stafford-Fraser zum bevorstehenden Ende der Anlage.

Das frühere Arup-Haus beherbergt heute ein Zoologie-Museum und heißt David Attenborough Building. (Foto Magnus Manske CC BY-SA 3.0)

Ihre Geschichte ging jedoch weiter. Die letzte Kaffeemaschine des Computerlabors, eine Krups ProAroma 305 mit Seriennummer 31.085, wurde im August 2001 auf eBay angeboten. Die Auktion gewann am 11. August 2001 mit einem Einsatz von 3.350 Pfund SPIEGEL ONLINE; als Sponsor trat der Fresenius-Konzern auf. Die Maschine gelangte mit Kamera, Kaffeemühle und anderen historischen Materialien nach Hamburg. Nach einer Reparatur – diese erledigte Hersteller Krups – nahm sie wieder das Kaffeekochen auf; im Frühjahr 2002 war sie Star einer virtuellen Ausstellung.

Seit Oktober 2016 steht der „Trojan Room Coffee Pot“ als Dauerleihgabe im Heinz Nixdorf MuseumsForum; wir bedanken uns herzlich bei SPIEGEL ONLINE. Der Platz ist, siehe das Eingangsbild oben, ein Fach in der Internet-Wand im zweiten Obergeschoss; wie in England wird alles von einer Videokamera überwacht. Frischen Kaffee gibt es im Museumscafè F7 im Erdgeschoss – das ist die Speise- und Getränkekarte.

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Ein Kommentar auf “Der Kaffee ist fertig”

  1. Michael Detambel sagt:

    Weitergedacht kommt man dann auf die Idee, das Gerät auch zu steuern. Dazu gibt es seit über 20 Jahren das »Hyper Text Coffee Pot Control Protocol« (RFC 2324).
    Nachzulesen in einer kleinen Glosse auf meiner Website: https://www.michael-detambel.de/Hyper-Text-Coffee-Pot-Control-Protocol.

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