Als ein Computer Dame lernte

Geschrieben am 23.02.2021 von

Der Beginn der Künstlichen Intelligenz wird gewöhnlich in den Sommer 1956 gesetzt, als dazu eine Konferenz im amerikanischen Dartmouth College stattfand. Doch schon ab 1952 entwickelte der IBM-Forscher Arthur Samuel Programme für das Dame-Spiel. Im Februar 1956 wurde eine Partie gegen den Computer im Fernsehen übertragen. Danach stieg der Kurswert der IBM-Aktie um 15 Punkte.    

Der Start des Fachgebiets Künstliche Intelligenz lässt sich im HNF besichtigen. Es war der Schachtürke, der ab 1769 (fast) alle Gegner matt setzte. In seinem Inneren saß ein Mensch, doch die Figur verkörperte die Idee eines intelligenten Mechanismus. 1911 bewältigte ein Automat des Spaniers Leonardo Torres Quevedo ein Schach-Endspiel, 1940 baute der amerikanische Physiker Edward Condon eine Nim-Maschine. Ein Computer für das Streichholzspiel trat 1951 in London und Berlin auf.

Zu jener Zeit grübelte ein Ingenieur der IBM über ein anderes Spiel nach. Arthur Samuel war Jahrgang 1901 und wuchs im US-Bundesstaat Kansas auf. Er besuchte das College seines Geburtstorts Emporia und das Massachusetts Institute of Technology; 1926 erhielt er den Master. Danach lehrte er an der Hochschule. 1928 wechselte er in die Bell-Laboratorien. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Samuel Dozent in der Universität von Illinois; ab 1949 arbeitete er in der Forschungsabteilung der IBM in Poughkeepsie im Bundesstaat New York.

1952 erhielt Arthur Samuel Zugang zum ersten Seriencomputer der Firma, dem Modell 701. Damit ging er eine Idee an, die ihn schon länger beschäftigte: ein Programm für das Damespiel. „Checkers“, wie es in Amerika heißt, ist einfacher als Schach, es benötigt aber Intelligenz. Es gibt keinen Algorithmus wie beim Nim-Spiel; ein Dame-Programm verfährt nach dem Minimax-Prinzip von Claude Shannon. Der Computer berechnet zukünftige Stellungen, bewertet sie und strebt der besten zu. Dabei nimmt er an, dass auch der Gegner die für ihn günstigste Position erreichen will.

Eine IBM 704 im Technikmuseum von Mailand. (Foto Museo nazionale della scienza e della tecnologia Leonardo da Vinci, Milano CC BY-SA 4.0 seitlich beschnitten)

Bei der Entwicklung seiner Software konnte Samuel die Vorarbeiten des englischen Computerforschers Christopher Strachey nutzen. Er hatte schon 1951 ein Dame-Programm geschrieben und es 1952 auf dem Rechner der Universität Manchester zum Laufen gebracht. Das amerikanische Programm besaß aber etwas, was dem in Manchester noch fehlte: einen Lernalgorithmus. Die Erfolge und Misserfolge änderten das Bewertungsverfahren für die Positionen der Steine. Anders gesagt: Der Computer spielte mit der Zeit immer besser.

Anfang 1956 lag Samuels Programm auf dem neuesten Produkt von Big Blue, der IBM 704. Am 24. Februar erfüllte sich der Traum jeder PR-Abteilung: Das Fernsehen rückte an. Es übertrug ein Damespiel Mensch gegen Maschine; danach soll der Börsenkurs der IBM-Aktie um 15 Punkte angestiegen sein. Viel mehr ist nicht überliefert, denn es gibt von der Partie keine Bilder. Es ist aber anzunehmen, dass damals Arthur Samuel am Brett und vor dem Computer saß. Dieses Foto zeigt ihn mit einer IBM 704, es entstand wohl erst später.

Im April 1956 sprach Samuel auf einer Fachtagung in London über sein Dame-Programm. Anschließend reiste er nach Deutschland und hielt Vorträge in Darmstadt und München. Im Sommer nahm er an der KI-Konferenz von Dartmouth teil. 1959 erschien sein offizieller Bericht; er ist hier nachlesbar. Wir erfahren unter anderem, dass die Software insgesamt 6.800 Befehle enthielt. Als Samuel den Text verfasste, speicherte der Computer 53.000 Spielpositionen auf Magnetband. Jede von ihnen füllte knapp vier Datenworte zu 36 Bit.

Jonathan Schaeffer im Jahr 2014 (Foto Scott Mair CC BY 2.0 seitlich beschnitten)

1962 schlug Samuels Programm – es lief jetzt auf einer leistungsstarken IBM 7090 – Robert Nealey, den Dame-Champion des US-Bundesstaats Connecticut. 1964 wurde per Post ein sechs Spiele umfassendes Turnier zwischen Mensch und Computer ausgetragen. Nealey gewann einmal, fünfmal kam es zu einem Unentschieden. 1966 sagte Arthur Samuel IBM Lebewohl und übernahm eine Dozentenstelle an der Stanford-Universität. 1982 ging er in den Ruhestand, er starb 1990. Hier sehen wir ihn und Robert Nealey in einem kurzen Filmclip – bitte zu Minute 14:15 vorgehen.

Ab 1989 entwickelte der kanadische Informatiker Jonathan Schaeffer an der Universität von Alberta das Programm Chinook. 1994 errang es den Weltmeistertitel im Damespiel und verteidigte ihn ein Jahr später. Danach zog es Schaeffer von allen Turnieren zurück.  2007 veröffentliche er zusammen mit seiner Arbeitsgruppe ein deprimierendes Resultat: Chinook ist unschlagbar. Ein menschlicher Damespieler kann gegen ihn höchstens ein Remis erzielen. Heute erforscht der KI-Experte die Geheimnisse des Pokerns.

Unser Eingangsbild (Foto IBM Watson Media) zeigt Arthur Samuel im Jahr 1962 beim Damespiel. Wir verdanken es der Sonderausstellung Back to Future des Museums für Kommunikation in Frankfurt am Main. Bis zum 24. Oktober präsentiert sie Technikvisionen zwischen Fiktion und Realität; anschließend wandert die Schau nach Berlin. Leider ist sie zur Zeit geschlossen, wir können sie aber allen Zukunftsinteressierten empfehlen.

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3 Kommentare auf “Als ein Computer Dame lernte”

  1. Das Fernsehen war da, aber es gibt keine Bilder? Das ist ja seltsam! Die IBM hat da doch bestimmt etwas.

      1. Danke schön! Was ja nicht heißt, dass IBM in seinem Archiv dazu nicht mehr hat…

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