Die Magie der Drucktaste
Geschrieben am 24.11.2023 von HNF
Das Telefon mit Wählscheibe ist ein Kind des frühen 20. Jahrhunderts; es blieb über Jahrzehnte in Gebrauch. Am 18. November 1963 startete die Bell-Telefongesellschaft für den US-Bundesstaat Pennsylvania in den Orten Carnegie und Greensburg das Fernsprechen mit Tastatur. Die Deutsche Bundespost führte am 1. Januar 1977 das Tastentelefon ein. Die Wählscheiben sind heute weitgehend vergessen.
Der Fortschritt geht manchmal langsam voran: „Bis spätestens Juni dieses Jahres will die Bundespost Lieferschwierigkeiten bei Tastentelephonen abgebaut haben. Bislang mußten Postkunden, die ihre Telephone von der Scheibe auf Tastwahl umrüsten lassen wollten, mehr als ein Jahr auf den neuen Apparat warten. Grund: Wegen fehlerhafter Elektronik ging ein Großteil der Apparate an die Hersteller zurück.“
Das schrieb der SPIEGEL am 12. März 1978, gut fünfzehn Monate nach der Einführung der Wähltasten in der Bundesrepublik – wir kommen noch darauf zurück. US-Bürger konnten sie seit dem 18. November 1963 drücken. Damals führte die für den Bundesstaat Pennsylvania zuständige Bell-Gesellschaft Tastentelefone in Carnegie und Greensburg ein. Den neuen Dienst gab es zu einem Aufpreis von 1,50 Dollar pro Monat. Überliefert ist dazu eine Meldung der Getty-Bildagentur und ein Zeitungsartikel von 2013.
Der Ursprung des Tastentelefons verliert sich wie vieles im Dunkel der Technikgeschichte. Tasten besaß jedoch 1855 der Hughes-Telegraf. Im frühen 20. Jahrhundert erschien zunächst das Telefon mit Wählscheibe. Korrekt bedient aktivierte es die mechanische Vermittlung, was dieser Film von 1951 zeigt. Bereits in den 1940er-Jahren forschten die amerikanischen Bell-Laboratorien und die Firma Western Electric – beide gehörten zum AT&T-Konzern – zur Tasten-Technik. Das ist eine Übersicht mit diversen Prototypen.
Auf der Weltausstellung 1962 von Seattle erläuterte AT&T Push Button Phoning in seinem Pavillon. Wie im Video ab Minute 6:35 zu sehen, stand die Schnelligkeit des Wählens im Vordergrund. Die nächste Weltausstellung eröffnete am 22. April 1964 in New York; genau ein Jahr vorher läutete Präsident John F. Kennedy die Endphase der Vorbereitungen ein. Er tat es mit einem Tastentelefon, auch hierzu ist ein Video überliefert. Am Ende gab Kennedy die Ziffern 1-9-6-4 ein, und es erklangen die Töne des Mehrfrequenzwahlverfahrens.
Am 18. November 1963 fand wie erwähnt die Einführung in Pennsylvania statt. Das erste Telefon war das Modell 1500 von Western Electric mit zehn Tasten – hier geht es zu einer frühen Fernsehwerbung. Der Nachfolger 2500 von 1968 besaß zwölf Tasten. Das tonbasierte Wahlverfahren ermöglichte in den 1970er-Jahren das Phreaking; daraus entwickelte sich die Hacker-Kultur. In den Neunzigern begann der Niedergang des Wählscheibentelefons. Eine kanadische Telefongesellschaft stoppte den Dienst aber erst im April 2012.
Das Jahr 1975 brachte die ersten deutschen Tastentelefone. Die Typen E3, T4 und TK4 kamen von der Telefonbau und Normalzeit GmbH; die Nixdorf Computer AG bot das Datatel-System 8811 an. Die Geräte durften jedoch nur in Haus- und Firmennetzen genutzt werden. Normale Postkunden erlebten ab dem 1. Januar 1977 die neue Technik, ein Foto zum Ereignis entstand kurz zuvor. Unser Eingangsbild zeigt einen der damaligen Fernsprechtischapparate, wie sie im Postdeutsch hießen. Im Frühjahr 1978 düdelten 140.000 in Wohnungen und Büros.
Inzwischen hat sich das Tastentelefon global durchgesetzt, im Festnetz oder als Handy. Die Wählscheibe ist so vergessen wie der Rechenstab oder die Kurbel-Rechenmaschine. Aus den 2010er-Jahren stammt ein Video, in dem amerikanische Kinder mit alten Telefonen kämpfen. Ähnliche Szenen wurden später auch in Berlin aufgenommen. Wer das Scheibenwählen aber noch beherrscht und Sehnsucht nach alten Zeiten hat, findet etwa in der Telefonmanufaktur – es gibt noch andere Lieferanten – die passende Hardware.
In Deutschland war die Einführung des Tastentelefons übrigens unabhängig von der Einführung des Tonwahl-Verfahrens. Die frühen „amtlichen“ Tastentelefone beherrschten meines Wissens ausschließlich die Impulswahl, und die damaligen Vermittlungsstellen ebenfalls.
Wann die Vermittlungsstellen umgestellt wurden und welche Technologie-Stufen es da gab, wäre vielleicht auch mal einen Blog-Beitrag wert — passt ja zur klassischen Vermittlung, die das HNF in der Ausstellung zeigt. Ging es vom Hubdrehwähler direkt zur digitalen, ISDN-tauglichen Vermittlung? Gab es eine analog-elektronische Zwischenstufe, die Tonwahl unterstützte — falls ja, wie arbeitete die mit den Impulswahl-Vermittlungen zusammen?
Nach meiner Kenntnis kam nach dem Hebdrehwähler der EMD-Wähler (Edelmetall-Motor-Drehwähler), das war Anfang der 70er Jahre, als die Vermittlungstechnik der Deutschen Bundespost aufgerüstet wurde.
Dieser Wählertyp blieb bis Anfang der 90er Jahre in Betrieb. Da er wie auch der Hebdrehwähler ausschließlich elektromechanisch arbeitete, war Digitaltechnik damit nicht möglich. Zwar wurde ISDN schon 1989 eingeführt, war aber erst Mitte der 90er flächendeckend verfügbar.
ISDN wurde 2019 abgeschaltet.