Im Archiv entdeckt: 150 Briefe von Alan Turing

Geschrieben am 03.09.2017 von

Am 25. August gab die Universität Manchester einen sensationellen Archivfund bekannt: In einem alten Aktenschrank kam schon im Mai eine umfangreiche Korrespondenz von Alan Turing ans Licht. Sie erstreckt sich über die Zeit von 1949 bis 1954 und umfasst 141 Vorgänge. Inzwischen liegt der Schriftverkehr, der rund 150 Briefe des Computerpioniers enthält, in der Universitätsbibliothek.

Eigentlich war 2012 das Alan-Turing-Jahr. Der Computerpionier wurde am 23. Juni 1912 in London geboren; das HNF zeigte vor fünf Jahren eine Jubiläumsausstellung. Nun entwickelt sich auch 2017 zum Turing-Jahr. Seit Februar ist in Turings altem Wirkungsort Bletchley Park für ein Jahr sein zuvor unzugängliches mathematisches Notizbuch zu sehen. Und im Mai wurde in der Universität Manchester – hier arbeitete er von 1948 bis zu seinem Tod 1954 – ein umfangreicher Briefverkehr entdeckt.

Der glückliche Finder war Jim Miles, Professor an der Informatikfakultät. Er räumte einen Lagerraum der Universität auf und stieß in einem Aktenschrank auf einen dicken Ordner mit der Aufschrift „Alan Turing“. Miles öffnete ihn und hielt zahlreiche Schreiben von und an Turing in der Hand, dienstliche Korrespondenz von April 1949 bis Juni 1954. Die Hochschule hielt zunächst dicht und machte sich daran, die Post auszuwerten. Am 25. August, also vor neun Tagen, ging man dann mit einer Mitteilung an die Öffentlichkeit.

Geheimdienstchef Eric Jones bedankt sich am 21. November 1952 für die Übersendung eines Fotos für den Kryptologen William Friedman   (Foto The University of Manchester)

Die Turing-Korrespondenz befindet sich jetzt in der Universitätsbibliothek und kann vor Ort studiert werden. Inhaltliche Informationen liegen ebenso online vor. Das Material umfasst 141 dienstliche Themen. Ganz rechts kann man das dunkelblaue Feld nach oben oder unten ziehen, weiter links einzelne Vorgänge anklicken. „Letter“ bezeichnet ein in Manchester eingegangenes Schreiben; „Copy Letter“ ist die Kopie eines Briefs von Alan Turing oder seiner Sekretärin. Mancher Vorgang enthält auch mehrere Schreiben der Beteiligten.

Die Post war strikt akademisch. Am 20. Februar 1953 entschlüpfte Alan Turing jedoch der Satz I detest America. Der Grund für das Urteil – „detest“ heißt hassen oder verabscheuen – ist unbekannt. Vielleicht hing es mit der Politik zusammen, zum Beispiel den Aktionen des Kommunistenverfolgers Joseph McCarthy. Im Herbst 1952 ergab sich ein Schriftwechsel mit Eric Jones, dem Chef des englischen Geheimdienstes GCHQ. Jones bat Alan Turing um ein Foto für ein Buch über das Entschlüsselungszentrums Bletchley Park, das der berühmte US-Kryptologe William Friedman erstellen wollte.

Ein Schachmagazin bittet am 16. November 1951 um Informationen zu einem angeblichen Computer-Schachturnier… (Foto The University of Manchester)

In den Akten kommt zweimal Deutschland vor. Das Zentralblatt für Mathematik fragte am 14. November 1951 aus Ost-Berlin an, ob Turing als Rezensent mitarbeiten würde; er lehnte einen Monat später ab. Im Dezember 1952 erklärte sich Turing gegenüber dem Foreign Office bereit, in Deutschland Vorträge zu halten. Als Themen schlug er mathematische Logik, elektronische Computer und sein aktuelles Arbeitsgebiet aus der Biologie vor. Im Januar 1953 zog er sich aber wieder aus dem Projekt zurück.

Zu Turings Briefpartnern zählten prominente Wissenschaftler von nah und fern. Wir treffen den Kybernetiker Ross Ashby, den Logiker Alonzo Church, den Genetiker J. B. S. Haldane, den Wirtschaftsforscher Oskar Morgenstern, den Sprachphilosophen Gilbert Ryle und den Informationstheoretiker Claude Shannon. Aus der Computertechnik finden wir Christopher Strachey, Maurice Wilkes und Beatrice Worsley; sie wurde dann die erste Informatikerin ihres Heimatlandes Kanada. Sechs Briefe behandelten den englischen Schüler Lionel March, der als mathematischer Wunderknabe galt.

…aber Alan Turing weiß von nichts. (Foto The University of Manchester)

In zwei Schreiben ging es um Rechenmaschinen mit Kurbel und Sprossenräder. Im Juni 1951 bestellte Turing eine Brunsviga 15 mit Rückübertragung des Resultats. Im Oktober folgte eine Britannic-Doppelrechenmaschine, der englische Nachbau der Brunsviga D13. Am Jahresende dementierte Alan Turing in mehreren Briefen das Gerücht, dass ein Schachspiel zwischen dem Mark-1-Computer in Manchester und einem Rechner im amerikanischen Princeton geplant wäre. Dort stand die IAS-Maschine, die John von Neumann gebaut hatte.

Am 21. Mai 1954 schickte Alan Turing einen Brief an einen kanadischen Studenten. Es ist der letzte von ihm in unserer Sammlung. Das letzte Schreiben, das von außen nach Manchester hineinkam, entstand am 2. Juni 1954. Sein Absender war der chinesisch-amerikanische Mathematiker Hao Wang; er bat um Sonderdrucke. Alan Turing hat es wohl nicht mehr gelesen, da er am 4. Juni aus dem Leben schied. Weitere Dokumente und Briefe verwahrt seit längerem das Turing Digital Archive in Cambridge, von denen viele gescannt sind.

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2 Kommentare auf “Im Archiv entdeckt: 150 Briefe von Alan Turing”

  1. Norbert Ryska sagt:

    Turing bot in einem Schreiben an das Foreign Office an, im Februar 1953 eine Einladung zu einer Vortragsreihe nach Deutschland (Prof. Scholz, Uni Münster) annehmen zu wollen. Turing erklärte, er könne zu drei Themen sprechen
    + Unsolvable Problems in Mathematical Logic
    + Electronic Computers in England
    + On the Chemical Basis of Morphogenesis

    Das Foreign Office lehnte – vermutlich wegen Sicherheitsbedenken (Turing war höchster Geheimnisträger) – ab. Dabei war der Adressat seines Schreibens pikanterweise jener Donald McLean, der zu den „Cambridge Five“ gehörte, die für die Sowjetunion spionierten.

    1. HNF sagt:

      Allerdings stand Alan Turing wegen der Vortragsreise nach Deutschland nicht mit dem Spion Donald Maclean in Kontakt, sondern mit einer Miss B. D. Maclean, die hier erwähnt wird: https://archive.org/stream/in.ernet.dli.2015.206643/2015.206643.The-#page/n73/mode/2up

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