
60 Jahre Computerkunst
Geschrieben am 26.09.2025 von HNF
Im Jahr 1965 wurden in New York und in Stuttgart ästhetische Zeichnungen ausgestellt, die Computerprogramme schufen. Die Autoren waren der amerikanische Ingenieur Michael Noll und die deutschen Mathematiker Georg Nees und Frieder Nake. Mit ihren Arbeiten begann die digitale bildende Kunst. In Berlin erinnert seit kurzem eine Galerie an die Werke der beiden deutschen Pioniere.
Die Computerkunst ist eine Idee aus den USA. 1962 legte der junge Ingenieur Michael Noll in den Bell-Laboratorien acht Grafiken vor, die aus der Freude am Schönen entstanden. Noll benutzte eine IBM 7090 und einen Drucker, der Monitor-Fotos ausgab. Die erste Publikation von künstlerischen Computerbildern erfolgte 1963 in einer amerikanischen Fachzeitschrift. Anfang 1964 hielt Konrad Zuse einen Vortrag zum Thema in Berlin.

Max Bense im Jahr 1969 (Foto Elisabeth Walther-Bense CC BY-SA 3.0 DE oben beschnitten)
Ende 1964 erschien digitale Kunst bei uns in Druck. Heft 3/4 der „Grundlagenstudien aus Kybernetik und Geisteswissenschaft“ enthielt zwei kurze Artikel mit computererzeugten Zeichnungen. Der erste trug den Titel Statistische Grafik und zeigte eine Kette von 39 kleinen Vierecken, der zweite brachte Variationen von Figuren in der statistischen Grafik. Sie gliederten sich in zwei Gruppen mit jeweils 280 winzigen Linienzügen. Diese nahmen zwanzig Reihen und vierzehn Spalten ein und besaßen in der ersten Gruppe acht, in der zweiten 23 Teilstücke.
Der Urheber der Grafiken hieß Georg Nees. Er wurde am 23. Juni 1926 in Nürnberg geboren und besuchte das Gymnasium im nahen Schwabach. Danach studierte er Mathematik bis zum Diplom an der Universität Erlangen, 1951 ging er zu den Erlanger Siemens-Schuckert-Werken. Hier arbeitete damals der ein Jahr jüngere Herbert W. Franke; ob die beiden sich trafen, wissen wir nicht. 1959 lernte Nees den Transistorcomputer Siemens 2002 kennen, den er mit der Sprache ALGOL programmierte. Im Rechenzentrum der Firma hatte er ab 1964 Zugang zum Zuse-Plotter Z64.
Die Geräte produzierten die erwähnten Zeichnungen. Die Artikel der „Grundlagenstudien“ brachten Georg Nees in Kontakt mit Max Bense, der an der Technischen Hochschule Stuttgart Philosophie lehrte. Bense entwickelte eine mathematische Ästhetik und interessierte sich generell für Fortschritt und Technik. In der von ihm herausgegebenen Zeitschrift augenblick standen 1959 die allerersten Computergedichte. Geschaffen hatte sie der Elektrotechnik-Student Theo Lutz mit der Zuse Z22 der Hochschule.

Georg Nees 1986 (Foto Alexander Kempkens CC BY-SA 3.0)
Im Februar 1965 stellte Max Bense nun eine Anzahl Plotter-Grafiken von Georg Nees aus, der Literatur zufolge in der Studiengalerie der TH Stuttgart. Die schlechte Nachricht ist, dass die Geschichte der Galerie keine Schau dieser Art erwähnt. Es fand jedoch ein „Ästhetisches Kolloquium“ im Institut von Max Bense statt, wo die Grafiken zu sehen waren und Georg Nees einen Vortrag hielt. Das belegt ein Artikel des SPIEGEL vom 27. April 1965. Außerdem existiert ein von Nees und Bense erstelltes Heft computer-grafik, das Texte der beiden und sechs Plotterbilder enthält.
Es mag sein, dass die Werke von Georg Nees nicht nur beim Kolloquium, sondern mehrere Tage lang in der TH Stuttgart hingen, die erste echte Ausstellung zu unserem Thema lief aber in New York. Dort zeigte die Howard Wise Gallery im April 1965 die „Computer-Generated Pictures“ von Michael Noll und dem ungarisch-amerikanischen Wahrnehmungspsychologen Béla Julesz. Die computerzeugten Bilder wurden mit Lochkarten angekündigt; die New York Times widmete der Schau ein paar Zeilen, bitte zum Ende des Artikels gehen.
Im November 1965 war Computerkunst wieder in Stuttgart zu sehen. Sie stammte von Georg Nees und seinem Mathematikerkollegen Frieder Nake; vor sechzig Jahren arbeitete er im Rechenzentrum der Technischen Hochschule. Die digitalen Grafiken programmierte er auf einem Computer des Typs ER 56; den Ausdruck erledigte ein Zuse-Graphomat Z64. Gezeigt wurden alle Blätter im Ausstellungsraum des Bücherdienstes Eggert, den der in Berlin geborene Buchhändler Wendelin Niedlich leitete. Der Name „Galerie Wendelin Niedlich“, den man manchmal liest, ist historisch falsch.

Frieder Nake 2005 (Foto Malte Diedrich CC BY-SA 2.0 seitlich beschnitten)
Im Januar und Februar 1966 präsentierte das Deutsche Rechenzentrum in Darmstadt Nakes Bilder, dazu Computergedichte von dem Rechenzentrum-Mitarbeiter Gerhard Stickel und Computermusik aus den USA. Einzelheiten liefert diese Broschüre vom April 1966. Die Darmstädter Schau führte zu einem FAZ-Artikel mit dem Titel „Computer vor den Galerien“ und vermutlich zu dem Bericht des Politik-Magazins Panorama, den die Retro-Mediathek aufbewahrt. Wir sehen den Computer der TH Stuttgart und bei Minute 2:40 Frieder Nake.
Er brachte es danach zum Informatikprofessor in Bremen und gehört heute zu den weltweit angesehenen Pionieren der Computerkunst. Auch Michael Noll gibt es noch; das ist seine Homepage. Georg Nees promovierte 1968 bei Max Bense mit einer Arbeit über generative Computergrafik. Er ließ anschließend die künstlerischen Tätigkeit etwas ruhen, nach seiner Pensionierung nahm er sie wieder auf. Nees starb am 3. Januar 2016. Hier erleben wir ihn noch einmal im Jahr 2006 im Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe.
Seit dem 12. September und noch bis zum 1. November 2025 feiert das Digital Art Museum DAM den 60. Geburtstag der Computerkunst in Berlin-Charlottenburg. Es zeigt Werke von Frieder Nake und Georg Nees, zugänglich sind sie von Mittwoch bis Freitag zwischen drei und sechs Uhr sowie samstags von zwölf bis vier Uhr. Die Galerie liegt im Horstweg 35 nahe der U-Bahn-Station Sophie-Charlotte-Platz. Es folgt ein Gang durch die Ausstellung; wir danken dem Museum für die Bilder und die Erlaubnis, sie im Blog bringen zu können.