Computer aus der Mühle
Geschrieben am 22.08.2017 von HNF
Vor 60 Jahren gründeten die Ingenieure Ken Olsen und Harlan Anderson die Digital Equipment Corporation DEC. Die Firma für Logikschaltkreise zog in eine alte Textilfabrik im US-Bundesstaat Massachusetts. 1960 lieferte DEC den ersten Rechner aus, die PDP-1. Daraus entstand der zweitgrößte Computerbauer der Welt; seine Produkte schrieben Technikgeschichte. 1998 wurde DEC vom PC-Hersteller Compaq übernommen.
Freitag, 23. August 1957. In Westdeutschland ist Wahlkampf, denn im September wird ein neuer Bundestag bestimmt. Die CDU/CSU wirbt mit dem Spruch „Keine Experimente“; er wird ihr den Wahlsieg und die absolute Mehrheit bringen. Am gleichen Tag wagen in den USA zwei Ingenieure ein Experiment. Sie gründen eine Firma für elektronische Schaltungen, mit der Absicht, möglichst bald auch Größeres zu bauen. Das Experiment glückt; die Digital Equipment Corporation wird zu einem der bedeutendsten Computerhersteller der Welt.
Ken Olsen und Harlan Anderson kannten sich aus dem Lincoln Laboratory des MIT. Das war ein Institut der berühmten technischen Hochschule in Boston, das sich hauptsächlich der Militärforschung widmete. Der 1926 im US-Staat Connecticut geborene Olsen leitete ein kleines Team, das an der Entwicklung des Computers TX-2 teilnahm. Anderson war Jahrgang 1929 und Mitglied des Teams. Die beiden taten sich zusammen und suchten Investoren. Ihr Plan: einen Computer wie den TX-2 zu bauen, mit Transistoren und einem Monitor.
Olsen und Anderson fanden die American Research and Development Corporation ARD, die mit 70.000 Dollar einstieg. Bedingung war, dass im Namen der neuen Firma nicht das Wort „Computer“ vorkam – es würde Kunden abschrecken. Außerdem mussten die beiden Ingenieure klein anfangen. Ihre Digital Equipment Corporation, kurz DEC, fertigte nach der Gründung zunächst logische Schaltungen. Das erste Modul kam noch 1957 für eine Frequenz von 5 Megahertz heraus. Es folgten Module für 500 Kilohertz und 10 Megahertz.
Die Firma belegte 800 Quadratmeter eines Gebäudes im Ort Maynard im Bundesstaat Massachusetts. Es gehörte zu einer ehemaligen Textilfabrik, die als „Mill“ bekannt war. Zu Beginn zählte die Belegschaft drei Köpfe, Ken Olsen, Harlan Andreson und Olsens jüngerer Bruder Stan. Nach einem Jahr saßen schon 60 Personen in der „Mühle“. Von Anfang an stellte DEC auch Ingenieurinnen und Technikerinnen ein. Überliefert ist eine Anzeige von 1959, mit der Mädchen und Frauen mit guten Augen und flinken Fingern gesucht wurden.
Zwei Jahre nach der DEC-Gründung begann die Arbeit am ersten Computer der Firma. Der „Programmed Data Processor“ PDP-1 wurde ab November 1960 an die Kunden geliefert; der Kaufpreis betrug 120.000 Dollar für die Grundausstattung. Bis 1969 entstanden 53 Stück, von denen noch drei erhalten sind. Die PDP-1 enthielt 2.700 Transistoren und 3.000 Dioden; ihr besonderes Kennzeichen war der runde Monitor in einem sechseckigen Gehäuse. 1962 schrieben Studenten des MIT für den Computer das erste richtige Videospiel Spacewar!.
Nach dem Erstling entwickelte DEC weitere Modelle, die Computergeschichte schrieben. Die PDP-8 etablierte 1965 die Gattung des Minicomputers, mit der PDP-10 betrat die Firma ab 1967 den Großrechner-Markt. Die ab 1977 angebotene VAX wurde in den 1980er-Jahren zum Einstiegstor für Hacker, die im Internet lohnende Ziele suchten. 1979 eröffnete die Digital Equipment Corporation in einem Nachbarort von Maynard ein Computermuseum. Von 1984 bis 1999 war die DEC-Sammlung in Boston zu sehen, wie wir schon im Blog berichteten.
In den späten Achtzigern war DEC mit mehr als 100.000 Mitarbeitern die zweitgrößte Computerfirma der Welt. 1986 brachte das Wirtschaftsmagazin FORTUNE Ken Olsen als Amerikas erfolgreichsten Unternehmer aufs Cover. Sein Wirken zog in Massachusetts die Gründung von großen und kleinen High-Tech-Firmen nach sich; Beispiele sind etwa Apollo, Data General und Prime Computer. Die „Route 128“ um Boston herum galt als östliches Gegenstück zum kalifornischen Silicon Valley.
Bei Mikrocomputern und Workstations sah DEC aber nicht gut aus. 1991 begannen vier Verlustjahre. Ende 1992 trat Ken Olsen als Direktor zurück. Unter seinem Nachfolger Robert Palmer schrumpfte die Belegschaft auf 61.000 Personen. 1998 wurde DEC vom Personalcomputerbauer Compaq geschluckt. 2002 verschwand auch Compaq durch die Fusion mit Hewlett Packard. Ken Olsen starb 2011 in Indianapolis. Zur Geschichte von DEC findet sich vieles online; die Firmendokumente liegen im Computer History Museum. Und das liegt natürlich im Silicon Valley.
Das Eingangsbild zeigt den PDP 8e (Foto: Jan Braun, HNF).
In einem Interview mit dem HNF im Jahr 2002 bezeichnete Bill Gates DEC-Gründer Ken Olson als eines seiner Vorbilder. Olsen ist auch in der Wall of Fame des HNF vertreten.
Leider ist es dem HNF nie gelungen, einen der legendären PDP1-Rechner für seine Sammlung zu gewinnen. Bei Anfrage an DEC im Jahre 1994 hatte das Unternehmen selbst nicht einmal ein Exemplar.