Der erste Sechsundachtziger
Geschrieben am 08.06.2018 von HNF
2018 feiern wir fünfzig Jahre „68“, die politischen und soziale Ereignisse vor einem halben Jahrhundert. Am heutigen Freitag können wir uns ebenso über vierzig Jahre „86“ freuen. Am 8. Juni 1978 brachte der kalifornische Chiphersteller Intel den Mikroprozessor Intel 8086 heraus. Er war der Einstieg der Firma in die 16-Bit-Welt und begründete die erfolgreiche x86-Familie.
Auch für Mikroprozessoren gibt es eine Ruhmeshalle. Man betritt sie am besten mit der Lupe. Dort finden wir den Intel 4004 von 1971: Er war der erste im Laden erhältliche Chip, der die Grundfunktionen eines Computers auf einem Siliziumplättchen vereinte. Wir sehen außerdem den Intel 8080, den 6502 von MOS Technology – er saß ab 1976 in den ersten Apple-Rechnern – und den populären Z80 von Zilog. Und drüben in der Ecke steht der Intel Pentium aus dem Jahr 1993, den wir bereits im Blog würdigten.
Die kalifornische Chipschmiede ist in unserem Ehrensaal einige Male vertreten. Gegründet 1968 von den Ingenieuren Gordon Moore und Robert Noyce in Mountain View, produzierte Intel in den 1970er-Jahren vor allem Speicherchips. Die winzigen Silizium-Elemente lösten damals die Kernspeicher ab; bei ihnen steckten Tausende von magnetisierbaren Ringen in einem Drahtgitter. Um 1975 waren Mikroprozessoren noch kein großes Thema. Das Wort Mikrocomputer konnte einen Chip-Satz wie auch den Rechner drumherum bezeichnen.
Die Intel-Spitze und der technische Direktor Andrew Grove wussten natürlich, was im Markt geschah. Der 1974 eingeführte Chip Intel 8080 verkaufte sich gut, doch die Konkurrenz stand in den Startlöchern, allen voran der ehemalige Intel-Entwickler Federico Faggin und seine neue Firma Zilog. Ihr Z80-Prozessor sollte ab 1976 die Führung im 8-Bit-Bereich übernehmen, also bei Chips, die Datensätze mit acht Stellen verarbeiten. Dieser Standard dominierte bei den kleinen Computern noch lange, siehe den Commodore C64.
Intel dachte aber an die Zukunft und begann 1975 mit der Arbeit an einem 32-Bit-Chip; er trug intern den Namen 8800. Das Projekt kam nur langsam voran. Es machte sich die Befürchtung breit, dass Zilog ein ähnliches Produkt eher herausbringen könnte. Zur Sicherheit ging das Intel-Management parallel zum 8800 einen Mikroprozessor für 16 Bit an. Ansonsten sollte er kompatibel zum älteren Intel 8080 sein und bereits dafür geschriebene Programme der Maschinensprache in der gleichen Weise ausführen.
Der angestrebte Chip erhielt das Kürzel 8086. Die Entwicklung startete im Mai 1976. Entwicklungsingenieur war der 36-jährige Stephen Morse, der erst seit einem Jahr bei Intel tätig war. Morse stammte aus New York und hatte dort auch studiert. Nach seiner Promotion arbeitete er in den Bell-Laboratorien, bei IBM, bei General Electric und als Informatikdozent in Kalifornien. Da das Intel-Management den 8086 als reine Überbrückungsmaßnahme ansah, erhielt Morse nur ein kleines Team und praktisch freie Hand.
Das Resultat wurde vor vierzig Jahren, am 8. Juni 1978, veröffentlicht. Der neue Intel 8086 vereinte 29.000 Transistoren auf einer Fläche von 33 Quadratmillimetern; die Taktrate betrug je nach Version zwischen vier und zehn Megahertz. Er bot vierzehn Register und mehr als hundert Befehle an und konnte einen Speicher von einem Megabyte adressieren. In jeder Sekunde führte der Prozessor 660.000 Instruktionen aus. Der Preis lag im Jahr 1978 bei 86 Dollar und 65 Cent; die späteren und schnelleren Versionen waren etwas teurer.
Von konkreten Anwendungen des 8086 hörte man dann wenig. Im Juni 1979 brachte Intel die von seinem israelischen Labor entwickelten 8086-Variante 8088 heraus, die im Unterschied zum Urmodell mit Input- und Output-Daten von acht Bit Breite zurechtkam. Noch Ende 1979 lief der 8086 in keinem Personal Computer. Intel leitete eine umfangreiche PR-Aktion ein, um den Absatz anzukurbeln. Die Situation änderte sich grundlegend, als IBM im August 1981 den Personal Computer vorstellte.
Im Inneren saß der Intel 8088. Der kleine IBM war ein riesiger Erfolg und führte zu einem Schwarm von technisch ähnlichen Rechnern, welche die für den PC verfügbaren Programme abspielten. Manche der IBM-Kompatiblen erhielten als Prozessor den Intel 8086, etwa der Compaq Deskpro, der Olivetti M24 und der PC 1512 von Amstrad. So entstand die vertraute „Wintel-Welt“ mit Windows-Betriebssystemen und Intel-Prozessoren oder Nachbauten. Unser Eingangsbild zeigt eine Ecke des Siemens-8086 (Foto Lhfjames, CC BY-SA 3.0).
Intel erkannte die Zeichen der Zeit schnell. 1982 erschienen die Mikroprozessoren 80186 und 80286, 1985 kam der legendäre Intel 80386. Der „Dreisechsundachtziger“ – das Wort bezeichnete auch damit ausgestattete Computer – rechnete mit 32 Bit und enthielt 275.000 Transistoren. Der Nachfolger 80486 brachte 1989 mehr als eine Million Transistoren mit. 1993 beendete Intel die alte Nomenklatur und führte den Pentium ein. Die x86-Architektur bestimmt bis heute den Aufbau von Prozessoren für Laptops und Personal Computer.
Stephen Morse verließ Intel im Jahr 1979, verfasste aber anschließend die grundlegende Einführung in seinen Chip, „The 8086 Primer“. Nach dem Erfolg des IBM PC benannte er sie in The 8086/8088 Primer um, worauf sie ein Bestseller wurde. Heute beschäftigt er sich mit Genealogie und betreibt eine oft angewählte Website. Der zu Beginn unseres Blogtextes erwähnte 32-Bit-Prozessor Intel 8800 wurde 1981 als Intel iAPX 482 auf den Markt gebracht. Er erwies sich als Misserfolg und verschwand 1986 wieder.
Wir bedanken uns herzlich bei Stephen Morse für die Erlaubnis, sein Foto nutzen zu können.
Faszinierend und wortwörtlich unglaublich. Läge Nixdorf vor meiner Tür, ich wäre jede Woche dort.
ich war schon lange nicht mehr bei ihnen und als ich ihren Bericht jetzt wieder gelesen habe und die 5000 Jahre Geschichte, die ich bei ihnen durchwandern kann, fällt mir der Kommentar von Enzenberger ein, der am Eingang ihres Hauses hängt. Wie viel Zeit läßt sich die Natur mit ihrer Entwicklung. Dann macht mir unsere Schnelligkeit Angst.