Krieg im Weltraum

Geschrieben am 04.02.2022 von

Im Februar 1962 lief im Massachusetts Institute of Technology MIT die Urversion von „Spacewar!“. Es war das erste Videospiel für einen Digitalrechner. Jeder der beiden Spieler lenkte ein Raumschiff über den Bildschirm und versuchte das andere Schiff abzuschießen.  „Spacewar!“ wurde kopiert, weitergegeben und im ganzen Land gespielt; es zählt zu den grundlegenden Programmen der Game-Branche.

Computerspiele gibt es seit 1951. Das erste war eine interaktive Ausgabe von Nim; die englische Firma Ferranti baute dafür den Spezialrechner Nimrod und zeigte ihn in London und Berlin. Einige Jahre später schrieb der IBM-Forscher Arthur Samuel eine Software für das Dame-Spiel, die schon lernen konnte. 1958 führte ein IBM-Computer in New York das Schachprogramm von Alex Bernstein aus; hier sehen wir Mensch und Maschine im Film.

Ebenfalls 1958 schuf der amerikanischen Physiker William Higinbotham ein Programm mit Tennis. Tennis for Two war das erste Videospiel, denn der Ball flog auf einem Oszilloskop. Das Sichtgerät wurde allerdings an einen Analogrechner angeschlossen; das Programm geriet bald in Vergessenheit. Das erste digitale Bildschirmspiel lief 1962 auf einem Minicomputer des Typs PDP-1 vom Hersteller Digital Equipment. Der Rechner stand seit September 1961 im Institut für Elektrotechnik des MIT.

„Wolf und Schaf“ war 1951 das erste digitale Spiel Deutschlands. Es arbeitete mit Relais.

Dass das Videogaming im MIT begann, lag an der passenden Hardware, aber auch an den Leuten, die dafür Software schrieben. Die Hochschule in Cambridge bei Boston war die Geburtsstätte der Hacker; das Wort bezeichnete junge Männer mit technischen Talenten, die Maschinen auf intensive und originelle Weise nutzten. Die ersten MIT-Hacker gehörten dem 1946 gegründeten Tech Model Railroad Club an. Von der Modellbahn war es dann nur ein kleiner Schritt zum Elektronenrechner und vom Rangieren zum Programmieren.

Der erste Hacker-Computer war in den späten 1950er-Jahren der transistorbestückte TX-0, eine Eigenentwicklung des MIT. Die Studenten der Hochschule hatten relativ freien Zugang zu ihm, vor allem in den Abend- und Nachtstunden; das Gleiche galt für die 1961 installierte PDP-1. Der TX-0 hatte einen viereckigen Monitor, die PDP-1 brachte einen runden Bildschirm mit. Der KI-Pionier Marvin Minsky erstellte für ihn eine farbige Animation mit drei bewegten Lichtern, das Minskytron, doch die Bildröhre blieb eine stete Herausforderung.

Steve Russell im Jahr 2011 (Foto vanguard CC BY-SA 2.0 seitlich beschnitten)

Zur Hacker-Gemeinde zählte auch der 24 Jahre alte Steve Russell. Er stammte aus dem US-Bundesstaat Connecticut und studierte in der Dartmouth-Universität bei einem anderen KI-Pionier, bei John McCarthy. 1961 arbeitete Russell in Cambridge an der Harvard-Universität. In seiner Freizeit las er Science-Fiction und schätzte die Romane des amerikanischen Autors Edward E. Smith. Die dort geschilderten galaktischen Kriege und der japanische SF-Film Battle in Outer Space führten ihn zum Konzept eines Computerspiels .

Unterstützt von seinen Hackerfreunden, saß Steve Russell ab Dezember 1961 in jeder freien Minute an seinem Programm oder an der PDP-1. Im Februar 1962 lief auf dem Bildschirm die erste Fassung von Spacewar! mit zwei sich attackierenden Raumschiffen. Das Spiel wurde in den folgenden Monaten verbessert, etwa durch Hinzufügen eines Sterns, den die Schiffe umkreisten, oder eines astronomisch korrekten Sternenhimmels. Im Mai 1962 zeigte das MIT die Software an einem Tag der offenen Tür. Danach verbreitete sie sich mit tatkräftiger Hilfe von Digital Equipment in Firmen und Hochschulen der USA.

Screenshot mit den Raumschiffen „Nadel“ (oben) und „Keil“, dem Zentralgestirn links neben dem oberen Schiff und den Lichttorpedos.

Das kalifornische Computer History Museum besitzt die PDP-1 mit zwei Bedienboxen; das Foto ganz oben nahm HNF-Geschäftsführer Jochen Viehoff vor Ort auf. Hier kann man ab Minute 14:00 erleben, wie das Spiel aussieht. 1971 erschien eine kommerzielle Version: Computer Space war das erste Produkt von Game-Pionier Nolan Bushnell, es verkaufte sich aber schlecht. Immerhin trat es im Science-Fiction-Streifen Soylent Green auf, der im Jahr 2022 spielt. Fünfzig Jahre vorher druckte die Zeitschrift Rolling Stone einen Artikel, der die damalige Popularität von „Spacewar!“ bezeugt.

1972 gelang Nolan Bushnell mit seinem zweiten Programm Pong ein Riesenerfolg; er schuf damit die digitale Videobranche. In den 1970er-Jahren kamen Spiele zur Mondlandung;  das Space Race von Bushnells Firma Atari blieb jedoch ein Ladenhüter. Eine Enttäuschung war auch der Space War für die Heimkonsole Atari 2600. Das Niveau des Original-„Spacewar!“ erreichte die Game-Industrie erst 1979 mit Asteroids; viele neue Ideen enthielt 1984 das englische Elite. Heute gibt es natürlich Weltraumspiele wie Sterne in der Milchstraße.

Ene Münzautomaten-Ausgabe von „Spacewar!“ im Technikmuseum von Stockholm.

Zum Schluss noch Literaturhinweise: Neben Links zur Geschichte von „Spacewar!“ und einer Timeline ist ein Gespräch mit Steve Russell online. Das ist die Website des Computer History Museums zum Spiel und zum Computer PDP-1. Das lesenswerte Hacker-Buch von Steven Levy hat ein eigenes Kapitel über den Weltraumkrieg. Die japanische „Battle in Outer Space“ findet sich im Internet Archive, sie braucht aber einen für Streaming optimierten Computer. Für langsame Computer und Leitungen ist der Weltraumkrieg hier zu sehen. Und hier gibt es den „Spacewar!“ zum Browserspielen – wir wünschen viel Vergnügen!

Tags: , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

2 Kommentare auf “Krieg im Weltraum”

  1. Karl-Ludwig Butte sagt:

    Vielen Dank für den sehr interessanten Artikel. Leider enthält er im vorletzten Abschnitt eine gravierende Lücke, da die Arbeiten von Ralph H. Baer in der Zeit von 1966 bis 1972 nicht berücksichtigt werden. Es war Baer, der die TV-Spiele erfand und nicht Nolan Bushnell. Nachzulesen ist das in Ralph Baers Buch „Videogames: In the Beginning“. Es ist im Internet verfügbar unter https://ia801207.us.archive.org/24/items/VideogamesInTheBeginningRalphH.Baer/Videogames%20-%20In%20the%20Beginning%20-%20Ralph%20H.%20Baer.pdf

    1. HNF sagt:

      Ralph Baer erfand die analoge Videospielkonsole mit klassisch-elektrischem Stromkreis, Nolan Bushnell steht für die digitale Videobranche. Demnächst werden wir im Blog etwas zu Ralph Baer bringen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir stellen diese Frage, um Menschen von Robotern zu unterscheiden.