Das Amt am Rhein

Geschrieben am 14.03.2017 von

Am Mittwoch, dem 15. März, spricht Horst Samsel im HNF über Internet-Sicherheit in Deutschland. Er arbeitet im Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik in Bonn. Das 1991 geschaffene Amt geht auf die Zentralstelle für das Chiffrierwesen zurück. Sie gehörte zum Bundesnachrichtendienst und saß im Bonner Vorort Mehlem. Ihr erster Leiter war der Kryptologe Erich Hüttenhain.

Seit Anfang März läuft im HNF die Sonderausstellung „Selbstbestimmt und sicher in der digitalen Welt“. Sie entsprang einer Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und zeigt Projekte zur IT-Sicherheit. Zum gleichen Thema bietet das HNF auch einen Vortrag an. Am 15. März um 19 Uhr referiert Horst Samsel vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Der Eintritt zu Ausstellung und Vortrag ist frei.

Das oben genannte Amt sitzt in Bonn und hat eine spannende Vergangenheit. Es wurzelt nämlich im Bundesnachrichtendienst BND, also der west- und heute gesamtdeutschen Spionagebehörde. Sie wurde am 1. April 1956 in Pullach südlich von München gegründet. Ihre Vorläuferin war die Organisation Gehlen, benannt nach ihrem Chef, dem früheren Generalstabsoffizier Reinhard Gehlen. Der wurde dann erster Präsident des BND und blieb es bis 1968. Im Büro trug er den Decknamen Dr. Schneider.

Ein Geheimdienst braucht Geheimcodes für die eigene Kommunikation. Daneben interessiert er sich für die Codes anderer Geheimdienste und die Texte, die damit verschlüsselt werden. Manche Staaten betreiben eigene Dechiffrier-Behörden; bekannt sind die amerikanische NSA und die britische GCHQ. Letztere geht auf die Government Code and Cypher School zurück. Im Ort Bletchley Park nördlich von London lasen ihre Mitarbeiter im 2. Weltkrieg deutsche Funksprüche, die mit der Chiffriermaschine Enigma verschlüsselt wurden.

Auch im deutschen Reich arbeiteten Kryptologen und knackten feindliche Codes. Jede Waffengattung hatte ihren Nachrichtendienst; außerdem betrieb das Oberkommando der Wehrmacht eine Chiffrierabteilung, OKW/Chi oder Chi. Die deutschen Spezialisten konnten einige Erfolge vorweisen. Sie merkten aber nichts von der Entschlüsselung der Enigma in Bletchley Park, und die organisatorische Zersplitterung behinderte ihre Arbeit.

Ab 1947 wurde der westdeutsche Geheimdienst unter amerikanischer Aufsicht neu organisiert. Die erwähnte Organisation Gehlen startete in Oberursel im Camp King, einem Stützpunkt der US-Armee. Kryptologische Hilfe kam von einer „Studiengesellschaft für wissenschaftliche Arbeiten“. Ihr Leiter Erich Hüttenhain war der hellste Kopf in der Chiffrierabteilung des OKW gewesen. 1905 in Siegen geboren, hatte er Mathematik und Astronomie studiert und 1933 in Münster promoviert. 1936 stieß er zur Abteilung Chi.

1949 erfolgte die Gründung der Bundesrepublik Deutschland wie auch der DDR. 1950 legte sich das Auswärtige Amt eine Chiffrierabteilung zu, das Referat 114. Hier gehörte Erich Hüttenhain zum wissenschaftlichen Beirat. Mit Geheimcodes und ihrer Entschlüsselung hatte sich das Ministerium aber schon von 1919 bis 1945 befasst. Zuletzt umfasste die zuständige Abteilung 300 Leute. Nach sechs Jahren wurde Referat 114 wieder aufgelöst, denn am 1. April 1956 nahm der Bundesnachrichtendienst BND seine Arbeit auf.

Nun begann die Ära der Zentralstelle für das Chiffrierwesen ZfCh. Sie gehörte zum BND, die Adresse lautete aber nicht Pullach, sondern Mehlem im Süden von Bad Godesberg. Sie erstellte Schlüssel für die Diplomaten und dechiffrierte fremde Nachrichten. Ihr Chef war niemand anderer als Erich Hüttenhain. Er leitete die ZfCh bis 1970; seine Nachfolger waren Wilhelm Göing und 1972 der Mathematiker Otto Leiberich. Im Alter verfasste Hüttenhain ein gelehrtes Werk über die Geheimschriften des Fürstbistums Münster. Er starb 1990.

Die Zentralstelle verstand es meisterhaft, sich selbst geheim zu halten. Das zeigte eine Begebenheit aus dem Jahr 1964. Damals arbeitete der ZfCh-Experte Horst Schwirkmann in der deutschen Botschaft in Moskau und kämpfte gegen Abhöraktionen des sowjetischen Geheimdiensts. Im September wurde er bei einem Giftgasanschlag erheblich verletzt. Der SPIEGEL berichtete, wies Schwirkmann aber „der deutschen Abwehr“ zu – so hieß einst der Spionagedienst. Mag sein, dass Bonn oder Pullach um Diskretion gebeten hatten.

Das Nachrichtenmagazin erwähnte die ZfCh und ihre Elektronenrechner erst 1984. Die wohl erste offizielle Nennung der BND-Abteilung geschah im November 1988. In der Fragestunde des Bundestags – siehe Seite 5 – teilte Staatssekretär Spranger mit, dass die Zentralstelle im Jahr 1986 einen Aufgabenbereich Computersicherheit erhalten hätte. 1989 wurde dann die Umbenennung in Zentralstelle für Sicherheit in der Informationstechnik bekannt. Details zur neuen ZSI verriet vor Weihnachten die Computerwoche.

Am 1. Januar 1991 verließ die ZSI die Welt der Schlapphüte, Sonnenbrillen und Decknamen und wurde zum BSI. Das neue Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik verteilt sich über zwei Standorte in Bonn und Mehlem; unser Eingangsbild zeigt die Hauptstelle in der Godesberger Allee 185. Präsident des BSI wurde Otto Leiberich. Er ging Ende 1992 in den Ruhestand und starb 2015. Die Abteilung für das Entschlüsseln von Geheimcodes blieb allerdings beim Bundesnachrichtendienst.

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