Vor neunzig Jahren: Fernsehen aus Berlin

Geschrieben am 08.03.2019 von

Am 8. März 1929 ging es los. Ab 23.10 Uhr strahlte die Reichspost vom Berliner Funkturm die erste Fernsehsendung Deutschlands aus. Sie war stumm und dauerte achtzig Minuten; das Material stammte von einem Film, der mit Hilfe einer Nipkowscheibe abgetastet wurde. An verschiedenen Orten der Metropole ließen sich die dreißig Zeilen umfassenden Bilder tatsächlich empfangen.

„Manchem Rundfunkteilnehmer wird es aufgefallen sein, daß gestern im Lautsprecher außerhalb der offiziellen Sendezeiten ein lärmendes Knattern, das in der Tonlage hin und her schwankte und einem Wechselstromgeräusch glich, zu hören war. Diese geheimnisvollen Zeichen bedeuten die ersten praktischen Versuche des Fernsehens nach dem System Mihaly, die die Reichspost in aller Stille vorgenommen hat.“

So eröffnete das Berliner 12 Uhr Blatt am 9. März 1929, einen Artikel über ein Ereignis des Vorabends. Die Überschrift Fernsehen in Berlin geglückt sagte schon das Wichtigste: In der Nacht vom 8. zum 9. März wurde vom Funkturm das allererste deutsche Fernsehprogramm ausgestrahlt. Um die Zeitung zu zitieren: „Die langwierigen Laboratoriumsversuche sind jetzt zu einem gewissen Abschluß gekommen und für die Durchführung im Rundfunkbetrieb reif geworden; die letzte Etappe in der Entwicklung ist erreicht.“

Die erwähnte Entwicklung setzte zwei Jahre vor der Sendung ein. Im Juli 1927 begann die Kooperation zwischen dem Reichspost-Zentralamt in Berlin-Tempelhof und dem in Berlin-Wilmersdorf wohnenden Erfinder Dénes von Mihály, einem gebürtigen Ungarn. Von Mihály erforschte schon länger das mechanische Fernsehen auf Basis der Nipkow-Scheibe. Bei der Funkausstellung 1928 zeigte er auf dem Stand des Amtes sein TV-Gerät Telehor. Das Zentralamt erwarb von ihm dann Hardware und setzte seine Entwicklungsarbeit fort.

Dénes von Mihály im Jahr 1930  (Foto Bundesarchiv, Bild 102-09995 CC BY-SA 3.0 – das Foto wurde an den Seiten beschnitten.)

Federführend war Postrat Fritz Banneitz; der 1885 in Hameln geborene Physiker leitete im Zentralamt das Referat für drahtlose Schnelltelegraphie und Bildübertragung. Banneitz installierte im Maschinenkeller des Berliner Funkturms einen Bildgeber, der wahrscheinlich der Anlage des Ungarn entsprach. Dabei wird ein Film auf einen Scanner projiziert; die Nipkow-Scheibe im Inneren zerlegt jedes Einzelbild in dreißig Zeilen. Eine Fotozelle wandelt die wechselnden Helligkeiten in einen Strom mit unterschiedlicher Stärke um.

Der Sender erzeugt daraus Funkwellen und strahlt sie aus. Im Empfänger kehrt sich der Prozess des Zerlegens um. An die Stelle der Fotozelle tritt eine Lampe, und die Scheibe macht aus den Informationspaketen eine Folge von Bildern mit dreißig Zeilen. Das Prinzip wird in dieser Animation für ein unbewegtes Objekt erklärt. Im Januar 1926 gelang dem schottischen Fernsehpionier John Logie Baird die erste drahtlose TV-Übertragung. Dabei wurde eine Person mit einem Lichtfleck abgetastet; die Reflexe registrierte eine Fotozelle.

Das Reichspost-Zentralamt scannte keine Menschen, sondern nur einen Film. Er enthielt Passagen mit bewegten Objekten, unter anderem eine sich öffnende und schließende Zange. Produziert hatte ihn Dénes von Mihály. Der entscheidende Test startete am 8. März 1929 um 23.10 Uhr, nach dem Ende des täglichen Radioprogramms. Der Sender im Berliner Funkturm strahlte auf Mittelwelle 475,4 Meter oder 641 Kilohertz eine Kakophonie aus, die bis 0.30 Uhr anhielt. So hörte es sich jedenfalls für Uneingeweihte an.

Den Empfänger „Fernseh 30“ zeigte die neu gegründete Fernseh A.-G. auf der Berliner Funkausstellung 1929. Er wurde aber noch nicht vermarktet.

Die auf- und abschwellenden Geräusche kamen natürlich aus dem Bildgeber im Keller: Sie repräsentierten das Fernsehsignal. Das Reichspost-Zentralamt hatte etwa fünfzig Gäste eingeladen, die jenes Signal auf einem Mihály-Empfänger bestaunten. Er sah vielleicht so aus wie das hier abgebildete Gerät. Fritz Banneis fuhr derweil mit einem Taxi durch das nächtliche Babylon Berlin. Er hatte einen Empfänger neben sich, sicher auch eine Batterie für den Strom, und überprüfte die Bildqualität an unterschiedlichen Orten.

„Die beweglichen Bilder sind an den verschiedensten Stellen der Stadt empfangen worden“, berichtete am nächsten Tag das 12 Uhr Blatt, „und durchweg sind sie einwandfrei, klar und unverzerrt zum Vorschein gekommen.“ Die Bilder waren stumm, viel erkennen konnte man nicht. Aber es war echtes Fernsehen. Im Juni 1929 gründeten die Unternehmen Bosch, Loewe, Zeiss Ikon und die Firma von John Logie Baird die Fernseh A.-G.; sie stellte auf der Funkausstellung des Jahres einen der ersten Empfänger für Normalverbraucher vor.

Ab 1935 wurde in Berlin regelmäßig Fernsehen über UKW und mit 180 Zeilen ausgestrahlt. Die Empfänger enthielten jetzt Braunsche Röhren, bei den Aufnahmen benutzte man aber noch Nipkow-Scheiben. 1938 stieg die Zeilenzahl auf 441; nun wurden auch die Kameras elektronisch. Die Sendungen endeten 1944. Im Dezember 1952 startete in beiden deutschen Staaten das Fernsehen neu, und es läuft noch immer. Das eindrucksvolle Gebäude des Reichspost-Zentralamts gibt es ebenfalls noch, siehe Eingangsbild oben (Foto Bodo Kubrak CC BY-SA 4.0 – das Foto wurde seitlich beschnitten).

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